10.06.2024. Vernetzen ist ihre Stärke. Deutlich sichtbar wurde das bei ihrer Verabschiedung im Rahmen der Kreissynode am 24. Mai: Geflüchtete, Ehrenamtliche und Menschen aus Partner-Organisationen kamen, um Christiane Kehl Lebewohl zu sagen. Achteinhalb Jahre war sie für den Arbeitsbereich Migration und Integration im Kirchenkreis Steglitz zuständig und hat dieses dynamische Arbeitsfeld gestaltet. Ende Juni geht Christiane Kehl in den vorzeitigen Ruhestand.
„Ich erinnere mich noch, wie ich anfangs durch die Turnhallen ging und mir die eng gestellten Feldbetten und die jungen Syrer ohne Scheu ansah“, sagt Christiane Kehl. 2015 war das, zur Zeit der ersten großen Fluchtbewegung, vor allem aus dem Nahen Osten. Damals wurde die Stelle einer Flüchtlingsbeauftragten im Kirchenkreis Steglitz erstmalig eingerichtet. Koordination und Begleitung der Ehrenamtlichen in der Unterstützung von Flüchtlingen lautete ihr Hauptauftrag. Mit rund 50 Freiwilligen hat Christiane Kehl begonnen: Essensaugabe in den Turnhallen organisieren, Hilfe bei Alltagsverrichtungen leisten, Anträge stellen, Ausflüge gestalten und ersten Deutschunterricht anbieten.
Ein besonderer Glücksfall war für sie damals die Begegnung mit Elyas Hannoun aus Syrien, der schon länger in Deutschland lebte. Er brachte sich ehrenamtlich für seine Landsleute ein und gründete schon bald die „Lukas-Schule“: niedrigschwelligen Deutschunterricht in den Räumen der Lukas-Gemeinde, unterstützt von vielen Freiwilligen - Elyas' syrische Kochkunst verfeinerte darüber hinaus viele Feste. Die Ehrenamtlichen in der Flüchtlingsarbeit allerdings wurden mit der Zeit weniger, weil etwas ganz Natürliches geschah: sie hatten irgendwann „ihre“ Geflüchteten gefunden, halfen ihnen bei vielen Fragen zur Integration und wurden oft Ersatzgroßeltern der Kinder.
An ihrer Arbeit schätzte sie besonders, die Schwerpunkte nach dem Bedarf setzen zu können: bei einem Kirchenasyl waren Geld, Kleidung und Deutschkurs zu organisieren, der Familiennachzug Einzelner musste und konnte unterstützt werden und mit Partnern organisierte sie ein Sprachcafé in einer Unterkunft, um nur einige Beispiele zu nennen. Als der Angriffskrieg auf die Ukraine begann, informierte Christiane Kehl regelmäßig die Kirchengemeinden über die sich schnell verändernde Lage. Besonders das Schicksal der aus der Ukraine flüchtenden Drittstaatler lag ihr am Herzen und sie informierte mit ihrem Netzwerk einen Bundestagsabgeordneten von der Basis aus über die unrealistische Gesetzeslage.
„Mir war es wichtig, die Kirche und ihre kompetente, verlässliche Unterstützungsarbeit im Bezirk sichtbar zu machen“, sagt Christiane Kehl. Regelmäßig nahm sie am Runden Tisch des Willkommensbündnisses Steglitz-Zehlendorf teil und traf dort alle Akteure in der bezirklichen Flüchtlingsarbeit. Die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen mache eben auch stärker, ergänzt sie. Zum Beispiel baute sie in einer Gruppe Kontakt zu Wohnungseigentümern auf, um Geflüchteten den ersehnten eigenen Wohnraum zu verschaffen.
Die politische und interreligiöse Arbeit war Christiane Kehl darüber hinaus sehr wichtig. Vorurteile aufbrechen, Denkanstöße ohne erhobenen Zeigefinger liefern, christlich-jüdische Begegnungen während der Kampagne #beziehungsweise schaffen, die Rassismus-Erfahrungen der Integrationslotsinnen zu Gehör bringen. Sehr nachhaltig war die Podiumsdiskussion in der Dreifaltigkeitskirche in Zusammenarbeit mit den Omas gegen Rechts zum Thema „Rechte Hotspots in Steglitz und Charlottenburg-Wilmersdorf“. Außerdem vertrat Christiane Kehl den Kirchenkreis Steglitz im Bündnis für ein weltoffenes und tolerantes Berlin.
Im Rückblick erkennt Christiane Kehl, dass sie schon früh an fremden Ländern und Kulturen interessiert war und diese Stelle für sie genau richtig gewesen ist. „Ich hatte mir immer gewünscht, bei der Kirche zu arbeiten“, sagt sie. Geboren in Frankfurt am Main, hatte sie nämlich zunächst Betriebswirtschaft studiert. In Berlin hat Christiane Kehl dann die intensive Ausbildung zur Prädikantin gemacht und sogar die Meisterklasse Predigt in Braunschweig abgeschlossen.
In all den Jahren hat Christiane Kehl immer auch persönlich Geflüchtete begleitet. Sie bedauert, dass deren Integration in Gemeindekreise nicht immer gelang. Allerdings bekam sie zum Schluss noch ein besonderes Geschenk: ein aufgeschlossener Iraner freute sich über eine geschenkte Gitarre und ging auf ihren Vorschlag ein, sich einmal die Gitarrengruppe der Lukas-Gemeinde anzusehen. Das sei herrlich gewesen, als dort deutsche 60er-Jahre-Schlager gespielt wurden, die er zwar nicht ganz verstand, die ihm aber große Freude bereiteten, erzählt sie lachend.
Mit ihrem Ruhestand zieht Christiane Kehl nach Bremen, wo sie und ihr Mann sich schon nach ehrenamtlichen Aufgaben umgesehen haben. Am Marktplatz wird sie dort in einem Team der Landeskirche mitarbeiten und auch weiterhin Geflüchteten helfen. Ihre Erfahrung und Expertise ist in Bremen gern gesehen. „Ich freue mich darauf“, sagt sie.
ubo