Fotos: omasgegenrechts.berlin
Die Situation weist Parallelen zur Klimakrise auf: alle wissen davon, viele fühlen sich betroffen, gar bedroht, und doch dauert es bis zur Verhaltensänderung. Die Rede ist von der Bedrohung der Demokratie durch ihr feindlich gesinnte Gruppierungen. Eine mit 140 Menschen gut besuchte Podiumsveranstaltung am 23. Juni 2023 in der Lankwitzer Dreifaltigkeitskirche war da ein wichtiger Schritt zur Bewusstseinsbildung: zwei Extremismusforscher, ein Kriminaldirektor und ein Aktivist klärten aus ihrer jeweiligen Sicht über die aktuelle Lage auf. Fazit: Jede:r kann und muss etwas tun.
Eingeladen hatten zwei kreiskirchliche Mitarbeiterinnen in der Migrationsarbeit, Christiane Kehl aus Steglitz und Susanne Pumpe aus Charlottenburg-Wilmersdorf mit den OMAS GEGEN RECHTS. Patricia Ehret von der Konrad-Adenauer-Stiftung, Abteilung Gesellschaftlicher Zusammenhalt, moderierte die Veranstaltung. Einige Fragen und Antworten.
Die extreme Rechte ist ein Wiedergänger der Konservativen Revolution in der Weimarer Republik, einer Bewegung, die dem Nationalsozialismus den Weg bereitete. Sie unterscheidet sich von den Nazis der 1980er und 90er im Stil, gibt sich äußerlich bürgerlich, ist aber im Kern genauso gefährlich. Die extreme Neue Rechte will eine andere Republik. Zu ihr zählen Menschen wie Götz Kubitschek und Björn Höcke, die Ein Prozent Bewegung, das Compact Magazin, die Reichsbürger und natürlich die AfD. Sie alle sind völkisch eingestellt und nutzen die aktuellen multiplen Krisen für ihre Zwecke, sagt Hajo Funke.
Rechte Straftaten seit 1990 haben sich gegenüber der vorhergehenden Bundesrepublik verzehnfacht. Die DDR hat diese Taten nicht erhoben, wiewohl es sie dort auch gab. Eine Vereinigung der rechten Bewegungen beider Staaten hat diesen Auftrieb gegeben. Die aktuelle Entwicklung ist sehr dynamisch und nicht absehbar. 1933 ist es nicht gelungen, sie zu stoppen, warnt Harry Waibel.
Das Niveau rechter Straftaten in Berlin ist hoch, Ausmaß und Akzeptanz der Grenzüberschreitungen erschreckend. Die Neue Rechte agiert nicht laut, eher im Hintergrund. Das Problem sind diejenigen, die sich anstecken lassen. Das für politisch motivierte Kriminalität zuständige LKA-Dezernat verfügt über 130 Mitarbeitende. Sie beobachten die Entwicklung in den Bezirken und inzwischen auch potentielle Straftäter. Eine eigene Ermittlungsgruppe deckt politisch motiviertes Fehlverhalten in der Polizei auf. Mit Erfolg: dieses wird häufiger angezeigt, erklärt Michele Lindner.
80 Prozent der Deutschen vertreten die demokratische Grundordnung. Wie in allen westlichen Demokratien, brechen allerdings 20 Prozent aus. Die Mitte der Gesellschaft erreicht die Neue Rechte erst, wenn die Brandmauer zu den demokratischen Parteien zerstört wird, sagt Hajo Funke.
Die Neue Rechte baut ein Milieu auf, das suggeriert, es handle sich bei ihnen um sehr viele, was nicht der Wahrheit entspricht. Das Bedrohungsszenario von oben lautet „Die gegen uns“, nach unten, „Wir sorgen für das Verschwinden der Minderheiten“. In einer Art Arbeitsteilung schafft die Neue Rechte die antisemitische Stimmung, Nazis schlagen zu.
Überdies hat die Bundesrepublik eine lange Tradition z.B. mit Burschenschaften, die akademisch Gebildete über ihre Netzwerke in bevorzugte Positionen bringen. In Steglitz ist der inzwischen aus der AfD ausgeschlossene Andreas Wild aktiv, früher dem Flügel der Partei zugeordnet. Er hat das Compact Magazin im Bezirk angesiedelt und richtet weiterhin Veranstaltungen aus. Charlottenburg hat seit jeher eine rechte Infrastruktur, dort ist auch das Stammblatt der AfD, die Junge Freiheit ansässig, erklärt Conrad Wilitzki.
Von der staatlichen Parteienfinanzierung profitierte lange die im Niedergang befindliche NPD wie heute die AfD. Letztere erhält dazu Großspenden von Millionären. Corona-Leugner haben sich durch Spenden finanziert, Burschenschaften durch Mitgliedsbeiträge, der Verlag Junge Freiheit durch Abonnements und Bücher.
ubo
Prof. Dr. Hajo Funke, Politikwissenschaftler an der FU bis 2010. Forschungen zu Rechtsextremismus, Antisemitismus.
Harry Waibel, Historiker, Forschung zu Neonazismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus in der DDR sowie Rassismus in Deutschland von 1945 bis zur Gegenwart.
Michele Lindner, Dezernatsleiter beim Landeskriminalamt mit dem Schwerpunkt politisch motivierte Kriminalität.
Conrad Wilitzki, Politikwissenschaftler und Aktivist, Gründer des Netzwerks Tolerantes Teltow-Kleinmachnow-Stahnsdorf (NTTKS)
Sich informieren: Bundeszentrale für politische Bildung, OMAS GEGEN RECHTS
An Protesten beteiligen.
Übergriffe an die Polizei und die Registerstelle melden.
Rechte Propaganda im Straßenbild selbst entfernen oder dem Ordnungsamt melden.
Lokale ansprechen, die Räume an rechte Gruppen vermieten. Bei Unterlassung ggf. reguläre Gäste informieren.