Am Freitag, dem 20. September ab 18 Uhr in der Petrus-Kirche Lichterfelde wird Christian Finke im Rahmen des Eröffnungsabends des Steglitzer Kirchenmusikfestes als Kreiskantor des Kirchenkreises Steglitz verabschiedet.
Am Sonntag, dem 29. September um 17 Uhr in der Dreifaltigkeitskirche Lankwitz verabschiedet die Gemeinde ihren langjährigen Kantor in einem Gottesdienst unter der Leitung von Pfarrerin Elisabeth Schaller. Anschließend gibt es einen Empfang.
43 Berufsjahre als Kirchenmusiker schafft man nur, wenn man früh beginnt: Christian Finke begleitete schon mit 14 Jahren Gottesdienste, erwarb mit 16 Jahren den C-Schein und war mit 22 fertiger A-Kirchenmusiker. Im Wedding als erstes von sechs Kindern geboren, verbrachte er die letzten Jahre seiner Schulzeit im Westerwald und im Siebengebirge, wo sein Vater Pfarrer war. Zum Studium kehrte Finke nach Berlin zurück, seine ersten Erfahrungen als Kirchenmusiker sammelte er in der Martin-Luther-Gemeinde Neukölln. Fast vier Jahrzehnte wirkte er als Kantor der Lankwitzer Dreifaltigkeitskirche, außerdem als Kreiskantor des Kirchenkreises Steglitz.
Lieber Christian, du warst schon früh mit deiner Ausbildung fertig. Wie hat sich dein Selbstverständnis als Kantor entwickelt und verändert?
Mit 22 Jahren dachte ich, alles sei möglich – mir stünden alle Stücke offen, wenn ich nur genug übe. Eine grenzenlose Freiheit zur Musik. Ich war für die Orgel, den Chor, die künstlerische Arbeit ausgebildet und freute mich, das alles mit und für Menschen anzuwenden.
Natürlich ändern sich die Dinge sich im Laufe der Jahrzehnte. Früher haben sonntags mehr Menschen in den Gottesdiensten gesungen, heute ist das Freizeitverhalten anders, auch das religiöse. Musik in der Kirche als Kunstform wird offener angezweifelt. Kirchenmusik soll verkündigen, aber welche Sprache wird noch verstanden? Für diese Verständigung braucht es neue Formen und das ist nicht einfach in einer Stadt, wie Berlin. Da sind Professionalität, Kommunikation, Empathie und Charisma nötig. Mir war es immer wichtig, Vertrauen zu gewinnen und Kontinuität in Beziehungen zu bringen, auch für die Nachwuchsgewinnung.
Künstlerisches Arbeiten ist allumfassend, kein 9-to-5 Job. Was bedeutet dir das?
Kunst wäscht den Staub des Alltags von der Seele, heißt es. Sie lässt uns die Schönheit der Welt mit anderen Ohren hören. Sie drückt aus, was anders nicht gesagt werden kann. Kirche braucht Kunst, weil sie mit Worten nicht alles erschließen kann. Musik ist der direktere Weg zu den Menschen. Mein Credo lautet weiterhin: Ohne Klang fehlt den Menschen etwas. Musik schenkt mir etwas Wesentliches für mein Menschsein.
Was hat dir am meisten Freude gemacht?
Ich kam vom Instrument, Klavier und Orgel waren im Studium wichtig. Mein Interesse galt aber dem Chor. Wenn du mal den Lettischen Radiochor hörst, wirst du umgehauen von der Soundwelt, die sich da aufbaut. Ich erinnere auch tolle Orgelreisen – instrumentale Musik tut gut und ist sehr befriedigend. Aber mein Schwerpunkt hat sich mehr zum Chorischen entwickelt – mit Menschen bekommst du einfach schnelleres Feedback.
Hast du wirklich immer gerne geübt?
Fast immer (lacht). Mit 6 Jahren begann ich den Klavierunterricht, mit 11 Jahren hörte ich dann allerdings auf zu üben. Meine Eltern meldeten mich vom Unterricht ab. Aber mit 14 kam plötzlich das Feuer für die Musik zurück. Ich fing an, Orgelunterricht zu nehmen und begleitete die Gottesdienste meines Vaters am Harmonium. Ich weiß noch, wie mir die Hände zitterten vor Aufregung.
Wie ist denn das heute mit der Aufregung vor Aufführungen?
Glücklicherweise konnte ich durch das frühe Tun lernen, damit umzugehen. Aber natürlich bin ich vor einer Aufführung unter Spannung. Ich kann mich total fokussieren und frage mich dann, ob ich noch den Musiker:innen und Chorist:innen gerecht werde. Das ist Stress, aber auch Freude – das wird man nicht los.
War die Entscheidung zur Kirchenmusik also eine klare Sache?
Nicht ganz. Ich war auch naturwissenschaftlich sehr interessiert – und greife Glaubensfragen gerne wissenschaftlich auf. Aber am Ende überwog der Wunsch, musikalisch mit Menschen zu arbeiten. Ich habe schon als Jugendlicher einen Kinderchor geleitet und spielte Trompete in einem Bläserchor. Mich zog auch die Idee an, nicht mit dem Wort, sondern mit der Musik zu verkündigen. Daneben war ich übrigens sehr gerne sportlich aktiv mit Fußball, Handball und Ski. Mit 18 Jahren war ich sogar Herrenmeister im Skiverein!
Was waren absolute Höhepunkte deiner Berufszeit?
O, da gibt es einige. Die h-Moll Messe von Bach, ein Spitzenwerk der Musik, habe ich sechs Mal aufgeführt, die Marienvesper von Monteverdi oder zuletzt das Brahms-Requiem im April. Das Zusammenwirken mit weltberühmten Musikerinnen wie der Sopranistin Christine Schäfer oder der Gambistin Hille Perl. Mir sind viele Aufführungen in guter Erinnerung geblieben, zum Beispiel das Pop-Oratorium „Unterwegs“ oder das grandiose „Golgatha“ von Frank Martin. Und es gab wunderbare Chorfahrten nach Polen, Tschechien, Ungarn, Estland, Lettland, Litauen, aber auch nach Dänemark, Schweden, Portugal, Südafrika. Gemeinschaft durch Musik zu erleben, ist etwas Wunderbares und Bereicherndes. 1991 war ich einige Monate bei unserer Partnerkirche, der United Church of Christ in Kalifornien. Von dort habe ich die Idee der MIDI-Orgel mitgebracht.
Gibt es Gesangbuchlieder, die du überspringst? Hast du einen Lieblingschoral?
Bei uns wird der größte Teil der Lieder aus dem EG gesungen, alle werden gebraucht. Es gibt eher Strophen, die ich nicht gern singe – solche, die zu patriarchalisch oder die von einer zu ergebenen Frömmigkeit sind. Es müssen keine rein rationalen Texte sein, ich mag auch Paul Gerhardt. Pfarrer gehen eher vom Text aus. Für mich ist die Frage, wie ich die Gottesdienstbesucher mitnehme. Menschen zu beteiligen, ist ein wichtiges Feld der Kirchenmusik. Das lernt man nicht unbedingt im Studium. Man braucht ein Gespür dafür, was möglich ist, sowohl mit den Menschen im Gottesdienst als auch mit denen im Konzert. 70 Prozent der Musik, die ich spiele, ist daher auch nicht unbedingt meine Musik. Ich wähle sie nach der Situation und den Menschen aus. Musik leistet viel, indem sie Menschen Erfahrungen im kirchlichen Raum machen lässt. Das nehmen sie mit in ihr Leben.
Für mich hat die Kirchenmusik drei Säulen: Musik im Gottesdienst in vielerlei Facetten, Gruppenarbeit in der Gemeinde mit regionaler Ausstrahlung und dem Einsatz für Frieden, Schöpfung, Gerechtigkeit in der Nachfolge Jesu und zuletzt Konzerte und kirchenmusikalische Veranstaltungen. Sie zeigen, was die Kirche an Bildungs- und kultureller Arbeit leistet. Darum engagiere ich mich auch in Verbänden, zum Beispiel im Präsidium des Deutschen Musikrats, im Landesmusikrat Brandenburg oder als Präsident des Chorverbands in der EKD.
Viel Beifall bei gelungenen Aufführungen und auch viel Üben und kleine Schritte machen. Wie hast du deine Batterien aufgeladen, um kreativ zu sein?
Es ist schon eine Gottesgabe, dass ich Kraft habe. Außerdem glaube ich fest dran, mit der Musik Gutes zu tun. Beifall und positives Feedback geben Energie für neue Projekte, davon geht allerdings ein guter Teil in die Organisation. Die Musik selbst gibt mir Kraft, und ich tanke gerne in der Natur auf. Außerdem mache ich weiterhin Sport, einmal in der Woche spiele ich im Kirchenfußballteam mit.
Was waren die Mühen der Ebene?
Es ist schade, dass die Kirchlichkeit in der Gesellschaft zurückgegangen ist. Kommunikation und Verbindlichkeit sind anders als früher, man muss mehr um die Dinge ringen. Ich verbringe die Hälfte meiner Zeit am Schreibtisch. Im Gegensatz dazu war es immer erhebend, mit Chören neu anzufangen. Ich hatte Glück – die Menschen sind immer zu mir gekommen. Schwierig finde ich es, wenn man Menschen auch mit guten Argumenten nicht auf einen neuen Weg mitnehmen kann.
23 Jahre deiner Berufszeit warst du auch Kreiskantor. Beschreibe doch bitte kurz dieses Amt.
Der Kreiskantor begleitet die Kirchenmusiker:innen fachberatend und fachaufsichtlich. Er hilft den Kirchengemeinden, ist zum Beispiel bei Neubesetzungen involviert, und unterstützt den Kreiskirchenrat. Er leitet den Kirchenmusik-Konvent und sorgt für ein Zusammenwirken über die Gemeindegrenzen hinaus, wie beim jährlichen Steglitzer Kirchenmusikfest, beim Adventskalender oder auch beim Klausurtag der Kirchenmusiker:innen. Die Vernetzung in den politischen Bezirk, zu den musikbetonten Gymnasien oder zum Oberlin-Seminar gehört ebenfalls dazu.
Was fällt dir schwer zurückzulassen und worauf freust du dich?
Der Kirchenraum in Dreifaltigkeit wird mir fehlen. Aber ich gehe mit fröhlichem Herzen und in dem Wissen, dass es eine gute Zeit war. Kirchenmusiker ist einer der tollsten Berufe. Er verbindet Menschen, Kirche und Musik, hat mit der Freiheit des Denkens und dem Überschreiten von Grenzen zu tun.
Aber ich freue mich auch auf neuen Freiraum, meine Enkel, Haus und Garten, mehr Kontakte am Wohnort und das Pflegen von Beziehungen. Vielleicht mache ich den Bootsführerschein. Außerdem habe ich ja schon Anfragen für Orgelkonzerte aus Caputh und Thüringen (lacht).
Ulrike Bott