Am Montag, den 14. Oktober 2024, um 12 Uhr werden in der Marschnerstraße 18 in Lichterfelde West Stolpersteine für die Schwestern Marie Anna und Margarete Cohn sowie für Theodor Salomon verlegt. Das Gedenken wurde von der Hausgemeinschaft initiiert und die Biographien von Dr. Christiane Scheidemann recherchiert und erarbeitet.
Marie Anna und Margarete Cohn lebten seit April 1934 in der Marschnerstraße 18 und teilten bereits seit ca. 1938 ihre 3½ Zimmer Wohnung mit dem Kaufmann und Handelsvertreter Theodor Salomon als ihrem Untermieter. Die letzten vier Jahre entstand mit dem Einzug seiner Ehefrau Frieda und ihrer 1930 geborenen Tochter Irene eine Schicksalsgemeinschaft, die durch die Deportation der beiden Schwestern im Juli 1942 nach Theresienstadt abrupt endete. Margarete starb bereits wenige Tage später an – wie es in der Todesanzeige hieß – „Lungenentzündung und Herzversagen“, Marie Anna wurde wenige Monate später noch in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und dort ermordet. Mit der Räumung der Wohnung verloren auch Theodor, Frieda und die damals 11jährige Irene Salomon ihren letzten freiwillig gewählten Wohnort. Während Frieda und Irene noch einmal kurzfristig in eine sogenannte Judenwohnung nach Wilmersdorf umsiedeln mussten, wurde Theodor Salomon in das damals als Sammellager fungierende Landwerk Neuendorf bei Fürstenwalde verbracht. Am 12. März 1943 wurde die ganze Familie mit dem 36. Osttransport nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Gedacht wird bei dieser Verlegung auch an Irmgard Kotzulla geb. Kosterlitz, die lediglich kurze Zeit bei Marie Anna und Margarete Cohn lebte und für die die Marschnerstraße 18 nur eine kurze Station auf ihrer Odyssee seit ihrem Auszug aus ihrer Wohnung in Charlottenburg und vor ihrer nun letzten erzwungenen Unterbringung in Schöneberg und ihrer Deportation am 6.3.1943 nach Auschwitz darstellte.
Marie Anna Cohn und ihre Schwester Margarete Cohn lebten in der Zeit zwischen April 1934 und Juli 1942 in der Marschnerstraße 18 in Lichterfelde West. Wir wissen nur wenig über das Geschwisterpaar, das die 3½ Zimmerwohnung noch in der Annahme bezogen haben mag, die offenkundig seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten immer schwieriger und feindseliger werdende Atmosphäre gegen jüdische Mitbürger gemeinsam überstehen zu können. Marie Anna Cohn, die als Mieterin der Wohnung gemeldet war, wurde am 10.3.1874, ihre Schwester Margarete am 7.12.1871 in Breslau (heute Wrocław) geboren. Hinweise auf ihre familiäre Herkunft, Eltern, Geschwister, eine mögliche Ausbildung und ab wann sie in Berlin lebten, ließen sich nicht ermitteln. Fest steht, dass beide unverheiratet waren und über ein eigenständiges Auskommen für ihren Lebensunterhalt, darunter 100 Reichsmark für die Wohnungsmiete, verfügten. Ob sie tatsächlich – wie es in den Akten der Oberfinanzdirektion aufgeführt ist – ohne Beruf waren, oder ihn aufgrund ihres Akters ggf. nicht mehr ausübten, muss offenbleiben.
Seit etwa 1938 teilten sie jedoch bereits ihre Wohnung mit jüdischen Mitmenschen, die unter den zunehmend bedrohlichen Umständen und der dadurch erschwerten finanziellen Situation versuchten, günstigen Wohnraum zu finden. Noch war diese Form des Zusammenlebens in einer häuslichen Gemeinschaft nicht förmlich erzwungen.
Bis zur Deportation der beiden Schwestern lebten so noch vier weitere Personen mit ihnen in diesem Haushalt. Ganz sicher trug die Unkostenbeteiligung der beiden Parteien an der Miete grundlegend zum Lebensunterhalt von Marie Anna und Margarete bei. Bis Anfang Juli 1942 bewohnten Marie Anna und Margarete nur noch 1½ Zimmer ihrer schön gelegenen Wohnung. Hoffnung auf eine leichte Verbesserung der prekären Lage brachte für kurze Zeit die Tatsache einer Erbschaft, die Ihnen von einer Verwandten aus Breslau nach deren Tod am 2. Juli 1940 zugedacht war. Das Erbe wurde allerdings einbehalten und fiel dem Staat zu.
Am 7. Juli 1942 unterzeichneten Marie Anna und Margarete die bereits erstellte Vermögenserklärung im Sammellager Hamburger Straße 26. Zwei Tage später, am 9. Juli, wurden Marie Anna und Margarete Cohn zusammen mit 98 weiteren Menschen mit dem 18. sogenannten Alterstransport von Berlin in das Ghetto nach Theresienstadt deportiert. Margarete starb bereits wenige Tage später an – wie es in der Todesanzeige lapidar hieß – „Lungenentzündung und Herzversagen“; Marie Anna wurde wenige Monate später in das Vernichtungslager Treblinka verbracht und dort ermordet. Ein konkretes Todesdatum ist jedoch nicht bekannt.
Das auf insgesamt 723 RM geschätzte Inventar, wurde an ein Möbelgeschäft in Lichterfelde Ost veräußert, die noch verbliebenen geringen Spareinlagen requiriert und für die spätere Instandsetzung der Wohnung vorgehalten. Die Wohnung galt ab dem 8.9.1942 als vollständig geräumt. Der unmittelbare Nachmieter, ein SS Hauptsturmführer, nutzte nicht nur die Tatsache der „frei“ gewordenen Wohnung, sondern zielte auch darauf ab, diese möglichst kostengünstig renoviert und schnell zu übernehmen. In unfassbar menschenverachtender Art legte er es darauf an, die Wohnung über Gebühr renoviert zu sehen, indem er den Schwestern „grobe Versäumnisse“ bei der Instandhaltung der Wohnung zur Last legte und die Oberfinanzdirektion auf vollständige Übernahme der Renovierungsarbeiten verpflichtete.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt, also Ende September 1942, mussten auch die Mitbewohner die Wohnung in der Marschnerstraße verlassen haben.
Bereits seit etwa 1938 lebte der Kaufmann und Handelsvertreter Theodor Salomon bei den beiden Geschwistern zur Untermiete. Er wurde am 27.11.1889 als jüngstes Kind von Gustav Gabriel Salomon und seiner Frau Pauline geb. Marcus in Berlin geboren. Gustav Gabriel Salomon führte einen Handel mit Chemie- und Drogeriewaren, den Theodor, zunächst noch zusammen mit seinen beiden älteren Schwestern und seiner Mutter, nach dessen Tod weiterführte. Am 14.11.1929 heiratete Theodor die am 28.1.1899 in Meiningen geborene Frieda Haas, die jüngste Tochter des Likör- und Essigfabrikanten Julius Haas und seiner Frau Jenny geb. Lindner. Der Lebensschwerpunkt des Ehepaares lag ab diesem Zeitpunkt in Berlin-Friedenau. Dort kam auch die Tochter Irene am 2.9.1930 zur Welt. Augenscheinlich wohnte Theodor Salomon nicht ständig bei der Familie. Vielmehr wurde er unter einer Adresse in Rostock sowie unter der Marschnerstraße geführt. Ob die räumliche Trennung deshalb geschah, um eine bessere geschäftliche Grundlage für das Handelsunternehmen zu schaffen oder aus persönlichen Gründen ist unklar. Frieda Salomon dagegen führte das kleine Familienunternehmen in der Lorenzstraße in Lichterfelde Ost augenscheinlich noch fort.
An Ostern 1937 kam Irene als Schülerin in die 12. Volksschule, heute Grundschule Unter den Kastanien, in Lichterfelde Ost, die sie aber bereits im November 1938 als Jüdin wieder verlassen musste. Erst ab Ostern 1939 besuchte sie dann die VIII. Private Volksschule der jüdischen Gemeinde zu Berlin in der Joachimsthaler Straße (Joseph Lehmann Schule). Auch diese verließ sie bereits wieder im März 1940. Etwa um diese Zeit wird Frieda Salomon spätestens die Wohnung in der Lorenzstraße aufgegeben haben und mit Irene zu ihrem Mann in die Marschnerstraße 18 gezogen sein. Im Zuge der Räumung der Wohnung in der Marschnerstraße wurde die Familie noch einmal getrennt. Theodor kam von dort aus in das seit 1941 als Sammellager und Zwangsarbeitslager fungierende Landwerk Neuendorf bei Fürstenwalde (ursprünglich seit 1932 eine jüdische Ausbildungsstätte für die Vorbereitung von jüdischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen für die Auswanderung nach Palästina), Irene und Frieda wurden in die Holsteinische Straße 42 zwangsumgesiedelt.
Am 12. März 1943 wurde die ganze Familie mit dem 36. Osttransport nach Auschwitz deportiert und dort vermutlich unmittelbar nach der Ankunft ermordet. Ein konkretes Todesdatum für Theodor, Frieda und Irene ist nicht bekannt. Irene wurde gerade einmal 12 Jahre alt.
Für Frieda und Irene Salomon wurden bereits am 21. Juni 2023 in einem Schülerprojekt der heutigen Kastaniengrundschule in Lichterfelde Ost Stolpersteine in der Lorenzstraße verlegt.
Bericht der Stolpersteinverlegung von Schüler:innen der Grundschule unter den Kastanien
Auch Irmgard Kotzulla geb. Kosterlitz (geb. 26.6.1883 in Oberglogau/Schl., heute Głog wek) lebte, wenn auch wohl nur kurze Zeit, bei den Schwestern und bewohnte eines der 3 ½ Zimmer zum Preis von 35 RM. Irmgard Kotzulla wurde nach der Deportation der beiden Schwestern noch einmal in ein Zimmer in der Wartburgstraße 26 zwangsumgesiedelt, bevor sie am 6.3.1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurde. Von ihr wissen wir nur, dass sie nach eigenen Angaben nicht jüdisch, sondern katholisch und geschieden war. Ihr in der Vermögensabgabe angegebenes, nicht näher benanntes Kind konnte augenscheinlich noch rechtzeitig ins Ausland fliehen.
Rechtzeitig fliehen und die Verfolgung überleben konnte der jüdische Hauseigentümer Ottomar Reichard. Er wurde am 6.4.1881 in Wien als Sohn des Afrikaforschers Paul Reichard geboren und entstammte einer namhaften Fabrikantenfamilie, die in Neuwied und Kaiserslautern eine Cichorien- Cacao und Chocoladenherstellung bzw. Zigarrenfabrik betrieb.
Paul Reichards zweite Ehefrau war die Malerin, Schriftstellerin und Übersetzerin Magdalena Mea Reichard geb. Szper. Ob sie zugleich Ottomar Reichards Mutter war, ist nicht eindeutig belegt. Seine ältere Schwester, die ihn vor ihrem Tod im Jahr 1938 auch als Erben und Verwalter eingesetzt hatte, war Irmgard Kaufmann (alias Garda Irmen), eine österreichische Schauspielerin.
Reichard war verwitwet und kinderlos und bestritt seinen Lebensunterhalt als Romanübersetzer und Redakteur wie ebenso durch Mieteinnahmen, die er über den Gebäudekomplex in der Marschnerstraße 18-22, aber auch u.a. in der Sächsischen Straße in Wilmersdorf erwirtschaftete.
Bis zu seiner Flucht Ende 1939 oder Anfang 1940 nach Brüssel, wohin die Familie Beziehungen hatte, lebte er in der Duisburger Straße 5 in Wilmersdorf. Im Jahr 1941 wurde sein gesamtes Vermögen beschlagnahmt und die Immobilien unter Verwaltung des Reiches gestellt. Die Mieteinnahmen flossen so über einen Verwalter direkt an die Reichskasse. Über sein weiteres Schicksal ist nichts weiter bekannt. Augenscheinlich lebte er nach 1945 weiter in Brüssel.
ADRESSE c/o Ev. Lukas-Kirchengemeinde, Friedrichsruher Straße 6, 12167 Berlin VORSITZ Pfarrerin Andrea Köppen, E-Mail
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Stolpersteine sind Wind und Wetter ausgesetzt und müssen in regelmäßigen Abständen gereinigt werden, da die Messingoberfläche unter feuchten Wetterbedingungen oxydiert.
Wenn Sie einen STOLPERSTEIN putzen und somit die Erinnerung blank polieren möchten, lesen Sie bitte vorher diese Anleitung.