Verlegung durch Gunter Demnig am Freitag, 18. Februar 2022 um 13.30 Uhr in der Schützenstraße
Im Juni 2021 wurde für Hermann Rosengarten in der Schützenstraße 4 in Steglitz ein Stolperstein verlegt. Nun verlegt Gunter Demnig vier weitere Stolpersteine für die Familienangehörigen von Hermann Rosengarten in der Schützenstraße 4:
Die Tochter Alice, geboren am 9. Mai 1918, wurde am 29. August 1942 nach Auschwitz deportiert und ermordet.
Die Ehefrau Selma und ihre Tochter Hannelore aus erster Ehe waren nicht jüdisch, teilten aber das Verfolgungsschicksal mit ihrem Ehemann und Stiefvater.
Die Mutter von Hermann Rosengarten, Salomea, geboren am 11. Juli 1861, wurde nach Auschwitz am 7. November 1942 deportiert und ermordet.
Die Stolpersteininitiative Steglitz lädt herzlich zur Teilnahme an der Verlegung ein.
Salomea Rosengartens Ehemann – Markus Rosengarten – war Inhaber einer Mützenfabrikation. Er hinterließ nach seinem Tod 1929 seiner Ehefrau und den beiden Kindern Hermann und Jenny ein Wohnhaus in der Posener Straße.
1930 zog die Witwe Salomea in den Haushalt ihres Sohnes in der Schützenstraße 4 ein. 1933 emigrierte sie mit ihrem Sohn und seiner Familie in die Niederlande. Die Mieteinnahmen aus dem Haus in der Posener Straße sicherten einige Jahre den Lebensunterhalt.
Hermann heiratete in zweiter Ehe die verwitwete Selma Hecht, die mit ihrer dreijährigen Tochter Hannelore in die Schützenstraße 4 einzog. Das Ehepaar baute sich Anfang der 1930ger Jahre eine Radio- und Musikapparate-Handlung in der Müllerstraße im Wedding auf. Ein Umzug in eine größere Wohnung in Charlottenburg wurde vorbereitet, da es in der Schützenstraße für vier Personen aus drei Generationen und als Patchwork-Familie zu eng geworden war.
1933 entschlossen sich die Rosengartens nach dem von den Nationalsozialisten organisierten Wirtschaftsboykott gegen Juden zur Emigration in die Niederlande. Sie lebten in Amsterdam. 1935 kam Hermann Rosengartens Tochter Alice aus seiner ersten Ehe nach. Alice heiratete 1939, ihr Sohn Robert kam am 1. Januar 1940 zur Welt. Im Sommer 1942 versuchte Alice mit ihrem Ehemann in die Schweiz zu fliehen, da die Situation nach dem Einmarsch der Deutschen für die jüdische Bevölkerung lebensgefährlich geworden war. Sie wurden verhaftet und am 29. August nach Auschwitz deportiert.
Das Kind war zuvor in Sicherheit gebracht worden und überlebte.
Alices Großmutter Salomea wurde am 7. November 1942 mit ihrem Sohn Hermann nach Auschwitz deportiert und ermordet.
Selma Rosengarten und ihre Tochter Hanne wurden 1940 ebenso ausgebürgert wie Hermann und Salomea. Sie alle waren fortan staatenlos. Die bis 1940 überwiesenen Mieteinnahmen wurden vom Deutschen Reich vereinnahmt. Die Familie hatte größte Mühe sich finanziell über Wasser zu halten.
Selma Rosengarten wurde erst lange nach Ende des Faschismus entschädigt und bekam eine Rentenzahlung zugestanden.
Sabine Davids
Flyer mit weiteren biografischen Informationen: Hermann Rosengarten, Alice Rosengarten, Salomea Rosengarten, Selma Rosengarten und Hannelore (Hanne) Hecht
Verlegung durch Gunter Demnig am Freitag, 18. Februar 2022 um 14.10 Uhr in der Karwendelstraße 25
Franziska Wiener wurde als Franziska Merzbach im Jahr 1852 geboren. Wir wissen nichts über ihre Eltern und woher sie stammt. Unbekannt ist auch, wann und wo sie ihren Mann, Jakob Wiener, einen Journalisten, kennengelernt und geheiratet hat. Da es keine Hinweise auf ältere Geschwister gibt, ist anzunehmen, dass die Ehe lange kinderlos blieb, bis Franziska am 2. Januar 1894 im für diese Zeit sicher hohen Alter von 42 Jahren in Berlin ein Kind gebar, ihre Tochter Betty – vielleicht lange erhofft.
Jedenfalls ermöglichten die offenbar wohlhabenden und gebildeten Eltern, die um die Jahrhundertwende in Berlin in die Promenadenstraße 10 in Lichterfelde-Ost zogen – zu dieser Zeit eine vornehme Villenkolonie – ihrer Tochter Betty eine erstklassige Ausbildung. Sie legte in der Kaiserzeit ihre Reifeprüfung ab, studierte Medizin, erwarb den Doktortitel und fand eine Anstellung als Kinderärztin im öffentlichen Dienst in Berlin.
1918 starb ihr Franziskas Mann. Sie lebte bis 1930 weiter mit ihrer Tochter in der Villa in Lichterfelde zur Miete. Sie wird in den Adressbüchern als Witwe geführt, hat also keinen Beruf ausgeübt. Auch nach ihrem Umzug in eine Wohnung in der Lichterfelder Mühlenstraße 20 (1936 umbenannt in Karwendelstraße 25) lebten die beiden Frauen dort zusammen. War sie vermögend? Jedenfalls reichten ihre Witwenrente und das Einkommen der Tochter - selbst nach deren Entlassung aus dem öffentlichen Dienst 1933 („Ariergesetz“) - für beide, um in dem schönen Haus weiter zu wohnen.
Die zunehmenden Schikanen der Nazis werden der alten Frau zugesetzt haben. Für eine Flucht war sie vermutlich zu schwach. Vielleicht reichte auch das Geld nicht mehr. Franziska starb 1940 im Alter von 88 Jahren vor ihrer sicheren Deportation. Sie wurde auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee beigesetzt.
Harald Mundt
Betty Wiener, geboren am 2. Januar 1894, war vermutlich das einzige Kind von Franziska Wiener und dem Journalisten Jakob Wiener. Die Familie wohnte nach der Jahrhundertwende in der Promenadenstraße 10 zur Miete in der von Johann Anton Wilhelm von Carstenn angelegten vornehmen Villenkolonie in Lichterfelde-Ost in einem Haus, das es heute nicht mehr gibt.
Bettys Eltern müssen ihre Tochter geliebt haben, denn sie ermöglichten ihr eine Ausbildung, die für die Frauen dieser Zeit sicher noch etwas Besonderes war. Sie hat in Berlin an der 1. Städtischen Studienanstalt 1912 ihre Reifeprüfung abgelegt, um danach an der Kaiser-Wilhelm-Universität Medizin zu studieren. Dort bestand sie 1918 ihr Staatsexamen mit der Note „gut“, obwohl zu dieser Zeit ihr Vater starb. 1919 schloss sie ihr Medizinstudium mit der Promotion in Freiburg bei Carl Noeggerath, einem Professor für Kinderheilkunde, ab, den sie vermutlich noch in Berlin an der Charité als Dozent kennengelernt hatte.
Bis zu ihrer Entfernung aus dem öffentlichen Dienst 1933 (7.4.1933: „Ariergesetz“) arbeitete sie in den 20er Jahren als Stadtschulärztin, und zwar als Assistenzärztin in der Säuglings- und Kleinkinderfürsorgestelle im Bezirk Prenzlauer Berg. Betty blieb unverheiratet. Sie lebte mit ihrer Mutter weiter in der Villa in der Promenadenstraße 10, bis beide 1930 in die Lichterfelder Mühlenstraße 20 (seit 1936 umbenannt in Karwendelstraße 25) umzogen. Betty Wiener ist in den Branchenteilen der Adressbücher als Kinderärztin aufgeführt. Hat sie dort also auch - neben oder vor allem nach ihrer Entlassung aus dem öffentlichen Dienst - praktiziert? Wovon haben die beiden Frauen gelebt, die bis zum 2.Weltkrieg zusammen dort wohnten?
Nach dem Tod ihrer Mutter 1940 zog Betty Wiener vermutlich in die Martin-Luther-Straße 89. Es ist am wahrscheinlichsten, dass sie dort zur Untermiete bei dem jüdischen Arzt Dr. Ritter lebte. Danach „verschwinden“ beide Namen 1942/43 aus den Adressbüchern. Für Betty Wiener ist ihre Deportation belegt. Die Quellen erscheinen allerdings widersprüchlich, sodass der Zeitpunkt der Deportation sowie der Ort ihres Todes oder ihrer Ermordung unklar bleiben. Sie starb vermutlich 1942 während oder nach ihrer Deportation entweder nach Theresienstadt oder nach Trawniki bzw. ins Warschauer Ghetto. Sehr wahrscheinlich wurde sie nach Theresienstadt deportiert. Vielleicht wurde sie als Ärztin dort vorübergehend gebraucht? Da sie nicht als Überlebende des Konzentrationslagers aufgeführt wird, ist davon auszugehen, dass sie wie die meisten Insassen in Auschwitz ermordet wurde. Betty Wiener wurde 48 Jahre alt.
Harald Mundt
ADRESSE c/o Ev. Lukas-Kirchengemeinde, Friedrichsruher Straße 6, 12167 Berlin VORSITZ Pfarrerin Andrea Köppen, E-Mail
SPENDEN KKVB Berlin Süd-West | Evangelischen Bank eG | DE18 5206 0410 0003 9663 99 | BIC GENODEF1EK1 | "Stolpersteine Steglitz"
Stolpersteine sind Wind und Wetter ausgesetzt und müssen in regelmäßigen Abständen gereinigt werden, da die Messingoberfläche unter feuchten Wetterbedingungen oxydiert.
Wenn Sie einen STOLPERSTEIN putzen und somit die Erinnerung blank polieren möchten, lesen Sie bitte vorher diese Anleitung.