Gedenkstele für Theodor Kirschbaum

Eine tragische Lebensgeschichte

Am 17. September 2017 wurde in der Baseler Straße 46 in Lichterfelde eine Gedenkstele für Theodor Kirschbaum enthüllt.

Nach Erscheinen eines Artikels über Theodor Kirschbaum im Gemeindebrief der Lichterfelder Johannes-Kirchengemeinde, wurde im Februar 2017 eine Gedenktafel im Eingang seines ehemaligen Wohnhauses angebracht.

Der Hausgemeinschaft genügte das nicht. Nach langen Verhandlungen hat ein Hausbewohner der Nr. 46 erreicht, dass eine Gedenkstele vor dem Haus aufgestellt werden darf.

Biographie von Theodor Kirschbaum

Führendes Kaufhaus in Lichterfelde-West, Karlstraße 19

(heute Baseler Straße 46)

Über den Konfektionär Theodor Kirschbaum wussten wir bisher nur, dass er 1939 nach Shanghai emigriert war, wo sich seine Spur verlor (s. Sabine Wernitzsch „Wo ist dein Bruder Abel?“, 1992).

Durch eine ehemalige Lichterfelderin, Frau Barbara Smoltczyk, geb. Fincke, die in der Johanneskirche konfirmiert und getraut wurde, haben wir jetzt einen  Einblick in eine tragische Lebensgeschichte bekommen.

Ihr fiel bei einem Besuch im November 2015 auf, dass nirgendwo ein Hinweis an das frühere Kaufhaus Kirschbaum erinnerte und auch die jetzigen Geschäftsleute nicht von dessen Existenz wussten.

Sie begab sich deshalb auf Spurensuche und hat mit Hilfe von Herrn Harald Hensel und vor allem des Leo-Baeck-Instituts in New York und noch lebender Angehöriger umfangreiche Auskünfte erhalten.

Theodor Kirschbaum (geb. 1888 in Obornik/Poznan) und seine Ehefrau Betty Kochmann (geb. 1896 in Czarnkow/Poznan) kamen beide aus der Textilbranche und heirateten 1920 in Berlin. Sie lebten in der Drakestr. 26 a (Jüd.AdrB 1931) in Lichterfelde. Das Ehepaar hatte zwei Kinder, Horst Siegfried und Hannelore.

Theodor Kirschbaum hatte eine Schwester, Regina Kirschbaum, deren Enkelin, Evy Woods, heute in Albuquerque/New Mexiko noch lebt und das Bild der Familie aus den frühen 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts zur Verfügung stellte.

Das Ehepaar Kirschbaum und sein Geschäft waren in Lichterfelde sehr beliebt (s. Sabine Wernitzsch). Theodor Kirschbaum übernahm das Geschäft 1926 von dem Vorbesitzer Schlesinger. Im Jahr 1938 wurde es liquidiert (BAdrB). Im Dezember 1932 erschien die rechts stehende Annonce im Lichterfelder Lokalanzeiger.

Kirschbaum muss vermögend gewesen sein, denn er besaß von 1930 bis 1938 ein zweites Geschäft an der Drakestr. 44, in dem sich heute die Adler-Apotheke befindet. Einen Teil seines Vermögens hatte er in die Schweiz transferiert. Dort befand sich sein Sohn in einem Sanatorium in Vevey/Schweiz. Der Sohn erlitt im Jahr 1930 nach einem Badeunfall durch eine Qualle eine schwere neurologische Erkrankung mit Lähmung. Durch den Geldtransfer wurde es möglich, dass der Sohn bis zur Rückkehr der Eltern in diesem Sanatorium überleben konnte.

Nach der Pogromnacht in Berlin 1938 verschärfte sich die Lage für die Juden in Berlin. Ob Theodor Kirschbaum auch nach Sachsenhausen verbracht wurde, ist nicht bekannt. Er entschloss sich im März 1939, mit Frau und Tochter nach Shanghai auszuwandern, dem letzten Zufluchtsort für europäische Juden. In China lebte das Ehepaar bis 1949. Das Ehepaar emigrierte mit der Tochter Hannelore dann nach Israel.

Die Tochter Hannelore blieb in Israel und heiratete dort einen aus Kassel stammenden Juden, der älter war als ihr Vater, litt an schweren Depressionen und nahm sich das Leben. Ihr Mann starb eine Woche später.

Theodor und Betty Kirschbaum behagte der damalige Pioniergeist in Israel nicht, und sie emigrierten in die USA. Sie kamen  nach San Francisco mit einem Visum für Canada. Ob sie wirklich in Kanada lebten, ist unbekannt.

Bekannt ist nur, dass sie nach einem kurzen Zwischenstopp in Berlin nach Vevey/Schweiz übersiedelten, um wieder mit ihrem weiterhin schwer behinderten Sohn zusammen zu leben. Theodor Kirschbaum starb kurz darauf, seine Frau Betty überlebte ihn um einige Jahre.

Horst Siegfried Kirschbaum lernte in dem Sanatorium, in dem er nach wie vor lebte, eine deutsche Krankenschwester kennen. Erna Fricker, die während des Krieges an der Ostfront verwundete Soldaten versorgt hatte, geriet in russische Gefangenschaft. Nach ihrer Entlassung emigrierte sie in die Schweiz, fand Arbeit in dem Sanatorium in Vevey und lernte Horst Siegfried Kirschbaum kennen. Die beiden heirateten, und Erna pflegte ihren Mann bis zu seinem Tod 2012. Jetzt lebt sie 93-jährig erblindet in einem Altenpflegeheim in Pforzheim.

Hildegard Frisius

(Veröffentlicht in: Gemeindebrief der Evangelischen Johannes-Kirchengemeinde Berlin-Lichterfelde Nr. 2, März 2016, S. 6 u. 7)

Nachtrag:

Am 08.11.2016 meldete sich Frau Gisela Aust, geb. Halle, ehemalige Klassenkameradin von Hannelore Kirschbaum (92 Jahre alt): Die beiden gingen damals in die 13. Volksschule (heute Clemens Brentano Schule). Die Familie Halle gehört zu den Quäkern, Familie Halle verkehrte demonstrativ mit Juden. Vater Halle (Schwiegersohn von Gustav Lilienthal) riss ein nazistisches Schmutzplakat am Geschäft von Kirschbaum demonstrativ ab und wurde dafür sofort verhaftet.* Der Einsatz der Familie für eine weitere jüdische Familie in Lichterfelde, Potsdamer Str. 60, ist bekannt.

Hildegard Frisius

*Sandvoß, Hans Rainer: Es wird gebeten, die Gottesdienste zu überwachen ... Religionsgemeinschaften in Berlin  zwischen Anpassung, Selbstbehauptung und Widerstand von 1933 bis 1945. Lukas Verlag Berlin 2014, S. 509 ff.

Kaufhaus Kirschbaum 1925Das links am Bildrand erkennbare Schaufenster trägt verdeckt den Schriftzug Kirschbaum, es folgen eine Pralinen-, eine Weinhandlung, ein Damen-Haarpflege-Salon, ein Zigarrenladen und ein Fahrradgeschäft. Über dem Haarpflege-Salon findet sich ein Hinweis „zur Apotheke“. W. Holtz, Baseler Carlstr.19/Ecke Friedrichstraße, 1925
Familie Kirschbaumv. li. n. re Betty, Theodor, Horst, Hannelore Kirschbaum, 1932
Anzeige Lichterfelder LokalanzeigerLichterfelder Lokalanzeiger vom 17.12.1932
Kaufhaus Kirschbaum 1930-1938Drakestr. 44, Bild aus dem Besitz von Frau Erna Kirschbaum mit Hinweis: 1930 bis 1938

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