29.08.2024. Sie ist 35 Jahre alt, Mutter von Dreien und liebt die Arbeit mit jungen Menschen: Sophie Gündogdu war fünf Jahre lang Kreisjugendpfarrerin im Kirchenkreis Steglitz und hat gemeinsam mit ihrem vier-köpfigen Team ein neues Konzept der Arbeit mit Jugendlichen eingeführt und mit Leben erfüllt. Am Montag, dem 16. September um 18.30 Uhr wird Sophie Gündogdu im Paulus-Zentrum aus ihrem Dienst im Kirchenkreis Steglitz verabschiedet. Ein Gespräch zum Schluss.
Liebe Sophie, die Sonne scheint auf deine letzten Tage in Steglitz. Was war dein absolutes Highlight hier?
Muss ich mich für eins entscheiden?
Du darfst drei nennen.
Also, erstens: Der Konfi-Tag mit 200 Konfis zum Thema Inklusion. Expert:innen verschiedener Einrichtungen haben 15 Workshops angeboten. Die Jugendlichen konnten unter anderem etwas über die Braille-Schrift für Blinde lernen, in Gebärdensprache eintauchen, einen Rollstuhl-Parcours abfahren oder in einem Age-Suit das Empfinden alter Menschen erleben.
Zweitens: Trancendance, das Tanz-Erlebnis in der Dreifaltigkeitskirche. Es hat gezeigt, wie Kirche sich für ganz andere Formate und Menschen öffnet, dass Transzendenz auch anders erlebt werden kann. Wenn es um die zukünftige Relevanz von Kirche geht, liegt sie auch in solchen grenzüberschreitenden Projekten.
Drittens: Das Landesjugendcamp mit 400 Jugendlichen zum Thema der Jahreslosung, #liebevoll. Ich war beeindruckt, wie viele junge Menschen sich dort engagieren: die Eröffnungsshow der Jugendlichen aus der EJBO, unsere Steglitzer Bands und unser Upcycling-Projekt mit geschenkten 3D-Brillen, aus denen wundervolle Herzbrillen gebastelt wurden. Es war schön, für ein Wochenende zu zeigen, wie das Motto #liebevoll wirklich gelebt werden kann.
Das sind zwar alles Sachen aus diesem Jahr, aber es waren eben auch tolle Erlebnisse.
Wo siehst du die Jugendarbeit in 10 Jahren?
Da, wo wir gute Arbeit machen, werden wir weiterhin relevant sein. Im Bezirksjugendring merke ich im Vergleich zu anderen Verbänden, über welchen Schatz wir verfügen. Wir haben viele engagierte Teamer:innen, vergleichsweise große Konfi-Gruppen und letztlich auch Adressen, um Menschen einzuladen.
Es wird in der Zukunft aber mehr Kooperationen geben müssen. Mit anderen Jugendverbänden zusammenzuarbeiten, bietet Chancen und neue Möglichkeiten. Eine Frage wird allerdings sein, wie stark das christliche Profil dann noch sichtbar bleiben kann.
Was ist gute Arbeit?
Sie entsteht aus einer christlichen Haltung, die andere wertschätzt. Wir nehmen die Jugendlichen an, wie sie sind und fördern ihre Gaben und Fähigkeiten. Bei uns geht es nicht um Leistung – nicht um die meisten Tore. Von gemeinsam Abhängen über kreativen Einsatz, Mitspielen in Jugendbands … ist bei uns praktisch alles möglich. Jugendliche brauchen Räume, wo sie Gleichaltrige treffen und Resonanz erfahren. Und das braucht feinfühlige pädagogische Begleitung. Daher werden wir als Kirche vielleicht kleiner, aber nicht weniger relevant. Unsere Angebote sind freiwillig. Wenn du aber die Leute überzeugst, dass das ihnen hier etwas bringt, bleiben sie dran und sind sogar sehr verbunden.
Liegt das nicht auch am Steglitzer Sozialraum?
Obwohl Steglitz klein ist, hat es doch eine soziale Spannbreite. Ich habe lange gedacht, wir erreichen nur das Sahnehäubchen der Jugendlichen und müssten mehr rausgehen. Wenn wir aber auf das Individuum schauen, finden wir, dass die Gesundheit und die Bedarfe der Jugendlichen nicht vom Sozialraum abhängen. Alle haben ihre Themen, alle haben das Recht auf unsere Räume.
Ich muss aber zugeben, dass unsere Angebote aufeinander aufbauen. Die Jugendlichen werden vom Konfi zum Teamer, beleben die Jugendkeller, wechseln vielleicht in den Kreisjugendkonvent (KJK), wenn sie politisch interessiert sind oder sogar in die Landeskirche. Es ist großartig, mit solchen Jugendlichen zu arbeiten, das Konzept unterscheidet sich aber schon sehr von offener Jugendarbeit.
Wie sieht denn die Gemeinde der Zukunft aus?
Sie ist mit dem Sozialraum verbunden, vielleicht so, wie die Markus-Gemeinde es mit dem Stadtteilzentrum gerade macht. Es braucht den Mut und auch die Nerven, um verschiedene Akteure reinzuholen und nicht alles allein schaffen zu wollen. Wenn wir das Evangelium nicht an die Lebenswirklichkeit der Menschen anknüpfen, sind wir nichts. Die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) besagt, dass unsere sozialdiakonische Arbeit geschätzt und auch von uns erwartet wird: Sich für Geflüchtete, Obdachlose, Alleinerziehende einsetzen – es gibt genug Menschen, die nicht in das normale Schema passen. Mir ist klar, dass das nicht immer leicht ist.
Nun ein Blick auf die fünf Jahre in Steglitz, was hat sich hier entwickelt?
Vor fünf Jahren begannen wir mit dem neuen Konzept: 75% Kreisjugendpfarramt und 75% für das Team, das sich aus den drei Regionen zusammensetzt (Anm.: Carola Meister und Georgia Washington für Lichterfelde, Henry Sprenger für Steglitz-Nord, David Stephani für Lankwitz). Die Stärke dieses Konzepts liegt darin, dass die vier Personen gemeindliche Jugendarbeit machen und die Bedarfe ihrer Jugendlichen direkt auf die Kirchenkreis-Ebene einspielen können. Inzwischen gibt es rund sieben gemeinsame Jugendveranstaltungen im Jahr. Gemeinden geben uns dazu positive Rückmeldungen.
Die Kreisjugendpfarrerin ist für die Koordination zuständig. Sie sorgt in Ergänzung zum Team für Standards in der Jugendarbeit und fordert diese ein. Es geht zum Beispiel um Rechte und Pflichten als Träger der freien Jugendhilfe, Mitwirkung bei Stellenbesetzungen, Konzeptionen und Arbeitsplatzbeschreibungen. Dazu kommt Lobbyarbeit, um Senatskürzungen zu verhindern, für die Nachwuchsgewinnung, für die Bezahlung und Entgeltstufen der Mitarbeitenden. Bei all diesen Aufgaben bin ich für die Unterstützung der Landeskirche durch das Amt für kirchliche Dienste (AKD) immer sehr dankbar gewesen.
Vielleicht noch etwas Werbung für deine Stelle: Warum lohnt es sich, in Steglitz zu arbeiten?
Die Bedingungen sind einfach sehr gut: die finanzielle und personelle Ausstattung, die kurzen Fahrtwege, ein funktionierendes Netzwerk mit den Kolleg:innen im Kirchenkreis-Team mit Feiern, Ausflügen, Fortbildungen, Team-Building, die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Kolleg:innen in der Jugendarbeit – dazu gehört auch eine Feedback-Kultur, die wir nicht nur den Jugendlichen beibringen wollen, sondern selbst leben. Unter diesen guten Bedingungen konnte ich mich weiterentwickeln und habe Kompetenzen ausgebildet, die ich vor sechs Jahren noch nicht hatte.
Und damit ziehst du nun weiter und zwar wohin genau?
Am 1. September beginne ich in der Jugendbildungsstätte Haus Kreisau, das Seminare für Berufsschüler:innen anbietet. Ich übernehme dort eine Schulpfarrstelle und werde nach einer Einarbeitungszeit zwei der fünf Arbeitsbereiche mitgestalten. Ich werde also wieder mehr ins pädagogische Handeln einsteigen, worauf ich mich sehr freue. Außerdem bin ich für das Schutzkonzept zuständig und werde auch durch Berufsschulen ziehen, um für die Bildungsangebote zu werben.
Und mein neuer Arbeitsweg braucht nur 10 Minuten mit dem Fahrrad von meinem neuen Zuhause. Das ist ein Luxus, den ich noch nie hatte – und einer der Gründe, warum ich das schöne Steglitz verlasse.
ubo