In meinem Büro geht es oft sehr turbulent zu. Das Telefon klingelt, der Dienstplan muss geändert werden, Berichte sind zu schreiben oder Abrechnungen sind fällig. Wie schön endlich ist Ruhe und ich sitze am Schreibtisch.
Es klopft. Vier sechsjährige Jungen kommen in mein Büro. Sie lassen die Köpfe hängen und sehen sehr betrübt aus. Neben ihnen steht eine Erzieherin mit einem Buddeleimer, gefüllt mit vielen kleinen grünen Äpfeln. „Was ist los?“ frage ich verwundert. Nun kommt Leben in die Gesichter der Jungen. Aufgeregt beginnen sie sich über einen kleinen dreijährigen Jungen, wir nennen ihn hier Gregor, zu beschweren: „Ja, also der Gregor, der ärgert uns immer. Und er hört nicht auf. Und da wollten wir Äpfel pflücken um ihn damit abzuschießen …“.
„Moment mal, abschießen geht schon mal gar nicht.“ „Ja, wissen wir ja, haben wir ja auch nicht gemacht.“ „Okay, das mit Gregor klären wir gleich im Garten. Aber jetzt mal zu den Äpfeln. Habt ihr eine Idee was uns daran nicht gefällt?“ „Naja, das wir sie gepflückt haben?“ „Aha, und warum nicht?“ „Die wachsen noch.“ erinnerte sich einer der Jungen. „Wann könnte man denn die Äpfel pflücken?“ „Im Herbst, aber das sind wir ja schon in der Schule!“ Nun begann einer der Jungen zu weinen. Verwundert fragten wir ihn warum er weine. „Ich habe doch gar nicht mitgemacht, ich war doch wieder nur dabei!“ klagte er. Über dieses Thema haben wir mit den Kindern schon viel nachgedacht. Was ist, wenn andere Unrecht tun und ich sehe es? Wann ist es schlimm genug um Hilfe zu holen? Wann ist es petzen? Wann reicht es einfach wegzugehen? In der jeweiligen Situation ist es wirklich schwer sich für das Richtige zu entscheiden. Unser Junge aus der Geschichte konnte sich nicht entscheiden was richtig ist. Vielleicht wollte es auch nur dabei sein um zu erfahren was die Jungen mit den Äpfeln vorhaben. Bei uns in der Kita gilt, wer dabei ist, trägt auch Mitverantwortung. Zurück zu unserer Geschichte.
„Im Herbst wollten wir Äpfel ernten. Und nun?“ Die Jungs vereinbarten, sie bringen alle nach dem Wochenende drei Äpfel mit. „Aber wieso drei?“ wollte ich wissen. „Im Eimer sind viel mehr Äpfel, zählt sie und teilt sie durch vier. Dann wisst ihr wie viele Äpfel jeder mitbringen muss.“ Das war eine schwere Aufgabe. Zählen geht ja noch, aber wie geht teilen? Sie setzten sich in einen Kreis und legten abwechselnd Äpfel vor jeden Jungen. Doch nun kam heraus, bei einem Jungen lagen nur fünf Äpfel, bei den anderen sechs. Der Junge der nur dabei war, bekam die fünf Äpfel. Das fanden die anderen gerecht.
Mit hängenden Köpfen verließen die Jungen mein Büro. Doch wir hörten einen Jungen raunen: „So eine Sch…, ich habe es geahnt. Sie hat uns erwischt!“
Annekatrin Herzog