Am Montag, dem 14. Oktober 2024 um 15 Uhr werden in der Schönhauser Str. 16b, Berlin-Steglitz, drei Stolpersteine für Irmgard und Gerda M. Meyer sowie für Werner Rabinowicz verlegt. Das Netzwerk Erinnerungskultur des Kirchenkreises Steglitz unter dem Vorsitz von Pfarrerin Andrea Köppen lädt zur Teilnahme ein.
In dem Haus in der Schönhauser Straße 16b wohnten in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts bis zum Ende des zweiten Weltkriegs Angehörige der Familie Meyer, eine Familie mit jüdischen Wurzeln. Die Entrechtung, Diskriminierung und Verfolgung durch die Nationalsozialisten führte bereits 1933 dazu, dass die älteste Tochter Irmgard mit 28 Jahren in den Tod flüchtete. Die Eltern und der Sohn überlebten die Wirren des Holocaust in der Emigration in Südafrika. Ihre jüngste Tochter Gerda überlebte in Berlin mit Hilfe von Freunden, die ihr Schutz und Beistand gewährten.
Gerda M. Meyer lernte in der Zeit, als all Ihre Verwandten nacheinander deportiert wurden, Werner Rabinowicz kennen, der durch günstige Umstände mehrfach der Deportation entgehen konnte. 1943 sah er jedoch keine andere Möglichkeit mehr als die Flucht in den Tod. Werner Rabinowicz wurde 32 Jahre alt, er starb in den Armen seiner Verlobten Gerda M. Meyer. Diese und weitere Ereignisse hat Gerda M. Meyer von 1929 bis 1948 in kleinen Taschenkalendern stichwortartig festgehalten. Regelmäßig notierte sie tagespolitische Gegebenheiten, Judenverfolgung, Diskriminierung, Deportationen und andere Folgen des Holocaust. Des Weiteren dokumentierte sie ihre intensive Teilnahme am kulturellen Berliner Leben ebenso wie das alltägliche Leben in Steglitz. Die Großnichte von Gerda M. Meyer, Ulrike Cordier, hat diese Tagebuch-Kalender geerbt, die Notizen abgeschrieben und digitalisiert.
„Ich leb‘ so gern“ - Filmprojekt der Alice Salomon Hochschule
Aus Gerdas M. Meyers Notizen geht detailliert hervor, dass sie Anfang der 30er Jahre eine Ausbildung als Fürsorgerin (heute Sozialarbeiterin) an der Alice Salomon Hochschule in Berlin absolviert hat. Heute beschäftigen sich junge Studierende der Alice Salomon Hochschule mit Gerda M. Meyers Schicksal. In einem zweisemestrigen interdisziplinären Seminar wird auf der Grundlage der Tagebücher von Gerda M. Meyer ein Gegenwartsfilm entstehen. Dieses Bildungsprojekt steht im Zeichen von Antisemitismus-Prävention und wird u.a. vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert. Es wird von der Professorin für Soziale Kulturarbeit Johanna Kaiser, von der Berliner Filmemacherin Johanna Pohland und dem Historikerlabor e.V. begleitet. Titel des Projekts ist ein Ausspruch von Gerda M. Meyer im hohen Alter von über 95 Jahren: „Ich leb‘ so gern“.
Gedreht wird der Film an den Orten in Steglitz, die Gerda M. Meyer in ihren Tagebuchaufzeichnungen erwähnt, so auch an ihrem Wohnhaus in der Schönhauser Straße während der Verlegung der Stolpersteine.
Irmgard und Gerda Meyer waren zwei von drei Geschwistern. Ihr Vater Fritz kam aus einer jüdischen Familie, ihre Mutter Anni war evangelisch. Die Beziehung der beiden Schwestern Irmgard und Gerda war sehr innig.
Wie seit Generationen in der Familie Meyer üblich, legten die Eltern Wert auf eine gute Bildung und Ausbildung ihrer Töchter. Nach ihrem Schulabschluss verbrachte Irmgard drei Monate in Frankreich. Auch Gerda ging nach Beendigung der Schule eine Zeit ins Ausland.
Zurück in Deutschland, trat Gerda am 6. Oktober 1931 mit großer Begeisterung ihre Ausbildung als Fürsorgerin an der Sozialen Frauenschule (heute Alice Salomon Hochschule) an. Sie genoss die vielen neuen Eindrücke und die offene Atmosphäre an der Schule.
Hier lernte sie Lilli Mellenthin kennen, die später Gerdas beste Freundin wurde.
Am 5. Juni 1933 flüchtete Gerdas Schwester Irmgard in den Tod, ohne ersichtlichen Grund. Drei Tage vorher waren die beiden noch zusammen im Kino gewesen. Irmgard wurde 28 Jahre alt.
Keine zwei Monate später, am 26. Juli 1933, beendete Gerda ihre Ausbildung als Fürsorgerin mit einem Einser-Examen, allerdings bekam sie aufgrund ihrer jüdischen Abstammung Berufsverbot.
Sie hatte jedoch Glück: Ein mutiger, mit der Familie befreundeter Geschäftsmann stellte Gerda als Sekretärin und später als Geschäftsführerin ein. Mutig, weil auch er keine Menschen jüdischer Herkunft anstellen durfte. Da in seinem Betrieb jedoch kriegswichtige Produkte hergestellt wurden, gab es offensichtlich für ihn in dieser Hinsicht einen besonderen Spielraum. Gerda war bis Ende 1944 bei ihm beschäftigt.
Zurück zu 1933: Irmgards tragischer Tod und das Berufsverbot waren der Anfang der Folgen der Verfolgung durch die Nationalsozialisten in Gerdas persönlichem Umfeld. Nachdem ihr Bruder Hans Erich bereits nach Südafrika ausgewandert war, emigrierten die Eltern am 30. April 1940 ebenfalls dorthin, wo alle drei der Verfolgung entgehen konnten. Bis 1943 wurden alle jüdischen Verwandten von Gerda in Berlin deportiert. Ein großer Teil wurde in Konzentrationslagern ermordet.
Am 16. November 1941 lernten sich Gerda und Werner Rabinowicz kennen. Werner war Jude und wurde 1938 gezwungen, sein Studium an der Humbold Universität abzubrechen. Seitdem arbeitete er im Straßenbau. Seine Mutter emigrierte 1942 nach Argentinien, ein großer Teil seiner Familie war bereits deportiert. Als Diabetiker setzte die Arbeit im Straßenbau seiner Gesundheit sehr zu. Er hatte keinen festen Wohnsitz, sondern war als Jude auf die wechselnde Aufnahme bei mutigen Freunden angewiesen. Mehrfach konnte Werner durch günstige Umstände der Deportation entgehen.
Trotz aller Einschränkungen verbrachten Gerda und Werner eine glückliche Zeit miteinander und wurden die wichtigsten Menschen füreinander. 1943 sah Werner keine Möglichkeit mehr, der Deportation zu entkommen. Außerdem war es für ihn als Jude nicht mehr möglich, Diabetes-Medikamente zu bekommen. In seiner Verzweiflung traf er die Entscheidung in den Tod zu flüchten. Er starb in Gerdas Armen am 6. März 1943. Werner wurde 32 Jahre alt.
Mit Hilfe ihrer Freundin Lilli Mellenthin und deren Familie überlebte Gerda die Kriegs- und Nachkriegsjahre. Obwohl sie bis zu ihrem Lebensende alleinstehend blieb, führte sie ein glückliches Leben und wurde 99 Jahre alt.
Ulrike Cordier, Großnichte von Irmgard und Gerda M. Meyer, hat die Tagebucheinträge ihrer Tante abgeschriebern und digitalisiert und gemeinsam mit Nina Knubel einige biografische Spuren in einem Faltblatt zusammengestellt, das im PDF-Format zum Download bereit steht.
ADRESSE c/o Ev. Lukas-Kirchengemeinde, Friedrichsruher Straße 6, 12167 Berlin VORSITZ Pfarrerin Andrea Köppen, E-Mail
SPENDEN KKVB Berlin Süd-West | Evangelischen Bank eG | DE18 5206 0410 0003 9663 99 | BIC GENODEF1EK1 | "Stolpersteine Steglitz"
Stolpersteine sind Wind und Wetter ausgesetzt und müssen in regelmäßigen Abständen gereinigt werden, da die Messingoberfläche unter feuchten Wetterbedingungen oxydiert.
Wenn Sie einen STOLPERSTEIN putzen und somit die Erinnerung blank polieren möchten, lesen Sie bitte vorher diese Anleitung.