Zum Steglitzer Orgeljahr 2022 stellen wir Ihnen an dieser Stelle nach und nach die Orgeln der Region Steglitz-Nord vor. Sie erfahren etwas zur Historie sowie zu Besonderheiten der einzelnen Orgeln und können Klangproben erleben.
Zu der Region Steglitz-Nord gehören sechs Gemeinden unseres Kirchenkreises:
Ev. Lukas-Kirchengemeinde
Ev. Markus-Kirchengemeinde
Ev. Martin-Luther-Kirchengemeinde Lichterfelde
Ev. Matthäus-Kirchengemeinde
Ev. Patmos-Kirchengemeinde
Ev. Kirchengemeinde Südende
Mit ihren 46 Registern ist die Orgel der Lukas-Kirche das größte Instrument im Kirchenkreis Steglitz. Dabei hat das heutige Instrument einen recht „farbigen“ Stammbaum, da seit Fertigstellung der Lukas-Kirche im Jahr 1919 vier verschiedene Orgelbauer ihre Spuren hinterlassen haben – und mit jedem haben sich Klang und Aussehen des Instrumentes verändert.
Zuletzt wurde die Orgel 2019 durch Orgelbau Scheffler (Sieversdorf) erweitert und in ihre heutige Form gebracht.
Einzigartig in unserem Kirchenkreis ist das symphonische Klangkonzept: Viele tiefe Register sorgen für satte Bässe, charakteristische Solostimmen für Farbenreichtum und brillante Zungenstimmen für strahlende Klangkraft. Eine Besonderheit sind die drei verschiedenen Trompetenregister in deutscher, französischer und englischer Bauart, die Posaune 32 ́ (deren längste Pfeife etwa 6 Meter misst!) sowie vielfältige Spielhilfen, die es erlauben, in punkto Klangreichtum aus dem Vollen zu schöpfen. Die hervorragende Akustik der Lukas-Kirche schließlich rundet das Klangbild ab. Mit dem letzten Umbau hat die Orgel schließlich auch ihre „Krone“ wiederbekommen: 1965 wurde das Buntglasfenster durch den Mittelturm der neu erbauten Orgel verstellt – seit 2019 nun leuchtet die wieder sichtbar gemachte „Krone“ der Orgel erhaben in der Abendsonne.
Sie können die Orgel der Lukas-Kirche jeden Mittwoch – außerhalb der Sommerpause – von 19 bis 19.30 Uhr in der Reihe ORGEL-to-go! erleben (Eintritt frei). Näheres zum Programm und zum Instrument finden Sie unter www.lukasmusik.de
Markus Epp
Die Orgel der Markus-Kirche in Steglitz wurde 1963 von der Orgelbaufirma Weigle aus Echterdingen gebaut. Mit 41 klingenden Registern, auf drei Manuale und Pedal verteilt und etwa 3.500 Pfeifen, gehört sie zu den größeren Orgeln im Kirchenkreis Steglitz.
Diese Orgel war zu der Zeit klanglich relativ kräftig disponiert, und um diese Kraft auch dämpfen zu können, plante man für drei der vier Werke einen Schweller. Dazu kam es nicht mehr - möglicherweise aus finanziellen Gründen - sodass die Orgel im Grunde genommen für den Kirchraum zu kräftig disponiert war. Erst im Jahre 2008, im Zuge einer Komplett-Reinigung der Orgel, schaffte es der Berliner Orgelbaumeister Michael Fischaleck, in Kooperation mit dem Kirchenmusiker Christoph Wilcken, das Instrument dergestalt umzuintonieren, dass die Orgel klanglich völlig adäquat im Raum erklingen kann.
Das Besondere an der Weigle-Orgel sind eine ganze Reihe von ungewöhnlichen Oberton- Registern, die mindestens für Improvisatoren ein reizvolles Klangspektrum darstellen.
Das Fehlen der einst geplanten Schweller erschwert allerdings die Darstellung vor allem romantischer und moderner Orgelmusik. Insgesamt ist aber festzustellen, dass die Markus-Kirche mit dieser Orgel über ein Instrument mit vielfältigen Klangmöglichkeiten verfügt.
Friedemann Gottschick
Die Orgel der Martin-Luther-Kirche in Lichterfelde stammt aus dem Jahr 1960. Sie wurde als Opus 91 von der damals noch jungen Berliner Orgelbaufirma Schuke erbaut, deren Chef einige Jahre zuvor den Potsdamer Schuke-Betrieb verlassen und im damaligen West-Berlin eine neue Firma gegründet hatte. Der Firmensitz lag damals übrigens in Lichterfelde, im Bereich der heutigen Gemeinde Petrus-Giesensdorf, man hatte es also nicht weit zur Martin-Luther-Kirche.
Die Orgel hat einen hellen glitzernden Klang, so wie es in dieser Zeit üblich war. Sie besteht aus zwei übereinander angeordneten Orgelwerken, die mit den beiden Manualen (=Tastenreihen) gespielt werden: einem großen, mächtigen Hauptwerk steht ein kleines Positiv mit einem eher zarten, obertonreicheren Klang gegenüber. Insgesamt besitzt die Orgel 23 verschiedene Register (=Pfeifensorten).
Mit der Geschichte der Orgel eng verbunden ist der langjährige Kirchenmusiker der Martin-Luther-Gemeinde, Johann Wolfgang Küsgen: Er war bereits an der Planung der Orgel beteiligt. Nach vielen Jahrzehnten im Dienst spielt er – inzwischen Ruheständler – weiterhin regelmäßig zu Orgelvespern in der Martin-Luther-Kirche.
Michael Zagorni
1958 wurde die im Jahr 1880 gebaute Dinse-Orgel der Matthäus-Kirche abgebaut und, wie in vielen Berliner Kirchen, durch einen Neubau der Firma Walcker/Ludwigsburg (mit 42 Registern auf zwei Manualen und Pedal) ersetzt. Allerdings unterschied sich die von dem damaligen Orgelsachverständigen Herbert Schulze und dem Physiker Karl Theodor Kühn neu konzipierte Orgel stark von vergleichbarer „Stangenware“: die Matthäus-Orgel sollte ein Instrument werden, das einerseits durch intensive Farbigkeit besonders für zeitgenössische, durch besondere Intonierweise aber auch gut für sogenannte „Alte Musik“ geeignet sein sollte. Um beides zu erreichen wagten die Erbauer manches kühne Experiment. Besonders war aber auch die Optik: Ernst Bittcher entwarf das Orgelgehäuse als stilisierten Engel, der ja bekanntermaßen das Symbol des Evangelisten Matthäus darstellt.
Nachdem das Instrument in Fachkreisen einen gewissen Widerhall erlangte, änderte sich der Zeitgeschmack und in mehreren Bauphasen wurde in den 1980er Jahren das Unterste zuoberst gekehrt: Zutaten aus dem Orgelbau der Romantik wurden aufgepfropft, Originalbestandteile entfernt und ein ästhetisch widersinniger Spieltisch angebaut. Konnte man die Orgel bisher vielleicht als interessanten Eigenbrötler charakterisieren, so wurde durch diese Eingriffe eine „schwere psychische Störung“ herbeigeführt: das Instrument wurde wesentlicher Charakterzüge beraubt und durch Einbau stilwidriger Zutaten zu einer orgelbaulichen Chimäre, die nicht weiß, wer sie ist und was sie eigentlich können soll.
Da allerdings bereits das Instrument von 1958 aus heutiger Sicht konstruktive Mängel aufwies (manches kühne Experiment hatte sich nicht bewährt), ist eine Wiederherstellung des Originalzustandes keine Lösung für dieses problematische Instrument. So hat sich in einem bereits fünfjährigen Beratungs- und Planungszeitraum die Erkenntnis durchgesetzt, dass der „Matthäusengel“ dringend einer Kernsanierung in erheblichem Umfang bedarf, um seine Flügel wieder entfalten und auf erbaulichen Klängen durch das mächtige Kirchenschiff schweben zu können.
Markus Epp
1963 wurde die evangelische Patmos-Kirche nach Plänen von Peter Lehrecke als Saalkirche mit quadratischem Grundriss erbaut. Die Orgel sollte in den im Stil der neuen Sachlichkeit gehaltenen, lichtdurchfluteten Raum „wie ein Möbel hineingestellt werden“. 1968 schließlich wurde das Instrument von der Orgelbaufirma Euler (Hofgeismar) erstellt; die Pläne hierzu stammen von dem Orgelsachverständigen Herbert Schulze und dem Akustiker Karl Theodor Kühn.
Diese beiden waren kühne, orgelbewegte Vordenker und dachten in ihren Orgelprojekten weit in die Zukunft. Kennzeichnend dafür waren neben den zeitüblich steilen Dispositionen unter anderem Schwellbarkeit aller Werke (außer den Grundstimmen), experimentelle Aliquoten oder Registerzüge mit Piktogrammen der Pfeifenbauformen (anstelle der üblichen Registernamen). Die Orgel wurde gedacht als gleichsam analoger Synthesizer, der durch die fein dosierbaren Aliquotmischungen (Schweller!) zum einen eine enorme Farbigkeit aufweisen, zum anderen die Organisten zu kreativer und neuschöpferischer Darstellung der traditionellen Orgelliteratur anregen sollte.
So auch die mit 20 Registern (II+Ped) ausgestattete Orgel der Patmos-Kirche, deren Klang laut Herbert Schulze „elementar und hochkultiviert“ ist. Die Orgel wurde 2021 saniert und gereinigt und klingt jetzt wieder in ihrer ursprünglich gedachten Stimmung zur Freude aller, die sie hören.
Markus Epp
1962 baute die in unserem Kirchenkreis viel beschäftigte Firma Walcker/Ludwigsburg (die Instrumente in der Dreifaltigkeits- und Matthäus-Kirche gehen ebenfalls auf sie zurück) eine neue Orgel für die wieder errichtete Südender Kirche mit immerhin 19 Registern, verteilt auf zwei Manualen und Pedal. Dem neobarocken Zeitgeschmack entsprechend war der Klang sehr auf Farbigkeit und Brillanz ausgelegt – bei ebenfalls zeitüblicher Vernachlässigung der Klangbasis.
Auf diese Art versah das Instrument 47 Jahre lang seinen Dienst, bevor bei der Überholung und Umorganisation im Jahr 2009 durch Orgelbau Paschen/Kiel ein Kerndefizit ausgeglichen werden konnte: das klangliche Fundament wurde durch Hinzufügung eines Prinzipal 8´ verbreitert, die etwas schrille Klangkrone im Hauptwerk abgemildert und durch einen Vorabzug des Prinzipal 2´ flexibler benutzbar gemacht. Durch diese Maßnahmen ist die Orgel der Südender Kirche gewissermaßen auf „gesundere“ Füße gestellt worden; und sie ist – in einem Alter, in dem wir Menschen bereits auf die zweite Lebenshälfte zugehen – etwas erwachsener geworden.
Markus Epp