2024 jährt sich das erste evangelische Gesangbuch zum 500. Mal: 1524 erschien das Geistliche Gesangbüchlein, eine Sammlung von 43 drei- bis fünfstimmigen Sätzen zu 38 deutschen und fünf lateinischen Gesängen, unter denen 24 von Martin Luther stammten.
Mit dem Gemeindelied schuf er in Kooperation mit seinem Kantor Johann Walter (1496-1570) eine neue musikalische Gattung, die zur Grundlage für die evangelische Kirchenmusik der nachfolgenden Jahrhunderte wurde: von Schütz über Bach bis zu Mendelssohn und Reger, in der Vokalmusik ebenso wie in der Orgelmusik. Das Geistliche Gesangbüchlein wurde zum Vorbild für alle folgenden (Chor-)Gesangbücher. Auch im heutigen Evangelischen Gesangbuch (EG) befinden sich zahlreiche Melodien, die schon in der allerersten Ausgabe enthalten waren, allerdings fast ausschließlich einstimmig.
Dr. Cordelia Miller, Kantorin der Evangelischen Paulus-Kirchengemeinde Lichterfelde, stellt im Jubiläumsjahr jeden Monat ein Lied vor:
Text und Melodie: Georg Neumark (1641) 1657
Wer nur den lieben Gott lässt walten
und hoffet auf ihn allezeit,
den wird er wunderbar erhalten
in aller Not und Traurigkeit.
Wer Gott, dem Allerhöchsten traut,
der hat auf keinen Sand gebaut.
(1. Strophe)
Georg Neumark (1621-1681) gehört zu denjenigen Dichtern, die ein einziges Lied unsterblich machte. Es sind nicht zuletzt die Umstände seiner Entstehung, die in Wer nur den lieben Gott lässt walten dem darin thematisierten Gottvertrauen so viel Glaubwürdigkeit verleihen: Auf dem Weg nach Königsberg, wo Neumark ein Jurastudium aufnehmen wollte, verlor er bei einem Raubüberfall seine gesamten Ersparnisse, was ihn dazu zwang, seinen Lebensunterhalt als Hauslehrer zu verdienen, bevor er erst drei Jahre später sein Studienvorhaben verwirklichen konnte.
1652 wurde Neumark Bibliothekar, Sekretär und Hofpoet Herzog Wilhelms IV. von Weimar. Dieser machte ihn 1655 zum Geschäftsführer der Fruchtbringenden Gesellschaft, einer der bedeutendsten Literatur- und Sprachgesellschaften des Barock.
Neumarks Gesamtwerk umfasst 74 geistliche und weltliche Strophenlieder, von denen ein großer Teil 1657 in der Sammlung Poetischer Lustwald erschien. Im Evangelischen Gesangbuch hat sich jedoch lediglich sein berühmtestes Lied erhalten. Hier gelang ihm eine kongeniale Einheit zwischen dem wunderbar trostreichen Text und der schönen Melodie.
Dr. Cordelia Miller
Text: Friedrich Spee von Langenfeld (1628), Johann Rist (1641)
O Traurigkeit, o Herzeleid!
Ist das nicht zu beklagen?
Gott des Vaters einigs Kind
wird ins Grab getragen.
O große Not!
Gotts Sohn liegt tot.
Am Kreuz ist er gestorben;
hat dadurch das Himmelreich
uns aus Lieb erworben.
(1. und 2. Strophe)
Das Passionslied O Traurigkeit, o Herzeleid! stammt aus der Feder gleich zwei der bedeutendsten deutschen Kirchenlieddichter des Barock: Friedrich Spee schrieb 1628 die erste Strophe, dreizehn Jahre später ergänzte Johann Rist die Strophen zwei bis fünf. Eine weitere Besonderheit ist das Lied als frühes Zeugnis der Ökumene inmitten eines verheerenden Krieges zwischen den Konfessionen: Friedrich Spee war katholischer Priester, Jesuit und Theologieprofessor in Paderborn, Johann Rist evangelisch-lutherischer Pfarrer in Norddeutschland.
Beide Dichter litten schwer unter dem Dreißigjährigen Krieg: Rist verlor beim Einfall der Schweden in Holstein fast seinen gesamten Besitz und musste mit seiner Familie fliehen, Spee starb 1635 bei der Pflege der Verwundeten im Kriegsgebiet in Trier an einer Seuche. Er war zuvor seines Amtes enthoben und nach Trier zwangsversetzt worden, nachdem er seine kritische Haltung gegenüber den Hexenprozessen, deren Wahn er vor allem während seiner Zeit als Beichtvater in Würzburg aus nächster Nähe miterlebte, 1631 in der Anklageschrift Cautio criminalis öffentlich gemacht hatte.
Mit seinem poetischen Hauptwerk Trutznachtigal, einer Sammlung von 52 Liedern, trat Friedrich Spee als christlich-mystischer Lyriker in Erscheinung. Ziel dieser Sammlung war, der weltlichen Liebeslyrik eine gleichrangige christliche Lyrik entgegenzustellen – „Trutz“ also im Sinne einer Entgegensetzung – und zu zeigen, „daß auch in der Teutschen Spraach man gut poëtisch dichten, und reden könne“ zum Lobe Gottes. Diesen Anspruch teilte er mit Johann Rist, von dem u.a. der Weihnachtschoral Brich an, du schönes Morgenlicht stammt, den Johann Sebastian Bach in sein Weihnachtsoratorium aufnahm. Von Spee sind bis heute vier Kirchenlieder fester Bestandteil der Gesangbücher beider Konfessionen, darunter das bekannte Adventslied O Heiland, reiß die Himmel auf.
Dr. Cordelia Miller
Auf, auf, mein Herz,
mit Freuden nimm wahr,
was heut geschieht;
wie kommt nach großem Leiden
nun ein so großes Licht!
Mein Heiland war gelegt
da, wo man uns hinträgt,
wenn von uns unser Geist
gen Himmel ist gereist.
(1. Strophe)
Paul Gerhardt (1607-1676), der als der bedeutendste Kirchenlieddichter nach Martin Luther gilt, hinterließ rund 130 Lieder, von denen sich 26 im EG befinden. Gemäß der Liederkunde im Anhang des EG "zeichnen [diese] sich durch sprachliche Schönheit und Natürlichkeit aus; auf dem Hintergrund des Dreißigjährigen Krieges spiegeln sie persönliches Gottvertrauen und christliche Heilserfahrung". Mit Johann Crüger und Johann Georg Ebeling traf Gerhardt auf zwei Komponisten, die mit ihren kongenialen Melodien wesentlich zur Popularität seiner Lieder beitrugen. Johann Crüger (1598-1662), der die Melodie zu Gerhardts Osterlied Auf, auf, mein Herz, mit Freuden schrieb, war von Haus aus Theologe: Nachdem er das heute noch bestehende Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster besucht hatte, studierte er in Wittenberg Theologie. Als Musiker und Komponist war er hingegen Autodidakt und wurde dennoch zu einem der bekanntesten Komponisten von Kirchenliedmelodien.
Vergleichen wir die Passions- und Osterlieder des EG, so fällt auf, dass die ernsten Passionslieder meist im Zweier- oder Vierertakt stehen, die fröhlichen Osterlieder dagegen im Dreiermetrum. So auch das Osterlied Auf, auf, mein Herz, mit Freuden, das im 6/4- bzw. 9/4-Takt steht. Verstärkt wird der tänzerische Charakter durch zahlreiche punktierte Noten und Sprünge. Dabei ist das Lied inhaltlich alles andere als ein fröhliches Tanzlied – Triumphlied wäre wohl der angemessene Begriff. Der auferstandene Christus triumphiert über den Tod und damit über alles Dunkle: Trübsal, Unglück, Nacht, Not, Sünde und Hölle. Wer sich im Vertrauen auf seinen Sieg ("Viktoria") stellt, findet in ihm Geborgenheit: "Es tobe, was da kann, mein Haupt nimmt sich mein an, mein Heiland ist mein Schild, der alles Toben stillt." Der triumphierende Grundton des Textes findet auf musikalischer Ebene am ehesten Widerhall in der aufsteigenden Linie am Schluss: Es ist ungewöhnlich, dass ein (Kirchen-)lied wie in diesem Fall auf seinem höchsten Ton endet.
Die Herausgeber des EG für die "Provinz Brandenburg" aus dem Jahr 1905 haben sich offensichtlich weniger vom Inhalt als von der beschwingten Melodie leiten lassen, als sie entschieden, das Lied im Anhang unter der Rubrik "Geistliche Volkslieder" aufzuführen. 120 Jahre später hat das beliebte Osterlied längst seinen Stammplatz im Hauptteil des Gesangbuchs gefunden.
Dr. Cordelia Miller
Könnte ich eine Zeitreise in die Vergangenheit machen, so dürfte Wittenberg während der 1520er Jahre nicht fehlen. Gern würde ich Luther und seinen Mitstreitern über die Schulter schauen, während sie eifrig Lieder sammelten, sichteten, bearbeiteten und neu schrieben, um erstmalig in der Kirchengeschichte ein Gesangbuch mit deutschen Kirchenliedern zu verfassen. Sollte die Reformation dauerhaft Erfolg haben, brauchte es nach ihrer Überzeugung nicht nur eine neue Gottesdienstordnung in deutscher Sprache, sondern auch Lieder, über die sich die Botschaft von der Erlösung allein durch Glauben und Gnade in den Kirchen, aber auch in den Familien und Schulen schnell verbreiten würde. Luther liebte Musik und wusste um ihre Kraft. In seinen berühmten Tischreden findet sich unter anderen folgender Ausspruch: "Die Musik ist das größte, ja wahrhaft ein göttliches Geschenk [...]. Denn durch sie werden viele und große Anfechtungen verjagt.“
Von den 43 in das erste evangelische Gesangbuch aufgenommenen Liedern stammen allein 24 von Luther. Dass er diese große Zahl von Liedern in so kurzer Zeit und bei seinem täglichen Arbeitspensum nicht sämtlich neu schreiben konnte, liegt auf der Hand. Luther, sein Kantor Johann Walter und die anderen Mitstreiter wandten daher häufig die Methode der Kontrafaktur an, bei der einer bestehenden (meist weltlichen) Melodie ein neuer, geistlicher Text unterlegt wird. Eine andere Möglichkeit bestand darin, ursprünglich lateinische Liedtexte ins Deutsche zu übertragen und gegebenenfalls weitere Strophen hinzuzudichten.
Das Pfingstlied Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist geht auf den lateinischen Hymnus Veni creator spiritus aus dem Jahr 809 zurück und wurde von Luther ins Deutsche übertragen und bearbeitet, ebenso wie die um das Jahr 1000 entstandene Melodie. Aus heutiger Hörgewohnheit wirkt sie mit dem Haltepunkt am Ende jeder Verszeile trotz ihres relativ großen Tonumfangs etwas monoton. Auch, dass Wortakzent und musikalischer Akzent eher zufällig einmal zusammenfallen, kommt uns heute beim Singen holprig vor. Doch gerade diese Unzulänglichkeiten sind ein Beleg für die Neuartigkeit des Unterfangens, Kirchenlieder in deutscher Sprache zu dichten und zu singen. Und es ist wohl nicht zuletzt dieser Geist des Neuen und des Aufbruchs, der den Liedern auch nach 500 Jahren noch eine eigentümliche Kraft verleiht.
Joachim Neander (1650-1680) entstammte einer norddeutschen Pastorenfamilie, deren Wurzeln bis in die Reformationszeit zurückreichen. Er folgte dieser Tradition und studierte in seiner Heimatstadt Bremen Theologie. Nach Stationen in Frankfurt und Heidelberg wurde Neander nach Düsseldorf als Hilfsprediger der evangelisch-reformierten Gemeinde und Rektor der zu ihr gehörenden Lateinschule berufen. Dort führte er pietistische Erbauungsstunden ein, die er zum Teil im Freien in dem nach ihm benannten Tal abhielt und die großen Zuspruch fanden. Allerdings geriet er wegen dieser Zusammenkünfte in Konflikt mit der Kirchenleitung, was fast zu seiner Entlassung geführt hätte. 1679 kehrte Neander als Hilfsprediger nach Bremen zurück, starb aber nur ein Jahr später.
Joachim Neander war eine echte Doppelbegabung als Dichter und Musiker. Zu vielen der von ihm verfassten 57 geistlichen Lieder schrieb er selbst die Melodie, so auch zu Wunderbarer König. Jahrzehnte später schrieb ein weiterer reformierter Pietist unter den Kirchenlieddichtern, Gerhard Tersteegen, zu dieser Melodie sein ebenso berühmtes Lied Gott ist gegenwärtig.
Neanders Lieder knüpfen inhaltlich und melodisch an Paul Gerhardt an: Die Frömmigkeit des Einzelnen wird betont, die Melodie ist oft tänzerisch und schwungvoll. Damit führte er eine Wende im reformierten Kirchengesang ein, der bis dahin ausschließlich aus Psalmliedern mit meist recht monotonen Melodien bestanden hatte. Gleichzeitig schlug er mit seinen Liedern eine Brücke zu den Lutheranern, die einige seiner Lieder in ihre Gesangbücher aufnahmen, darunter Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren und Wunderbarer König. Wie so oft war es die Musik, die konfessionelle Unterschiede und Konflikte überwand.
Auffällig an der Melodie zu Wunderbarer König sind die Wiederholungen: Fast jede musikalische Figur wird einmal auf der gleichen oder auf einer anderen Tonstufe wiederholt. Dabei handelt es sich um sehr schlichte Figuren bis hin zur vierfachen Tonrepetition im ersten Teil des Liedes. Vielleicht dachte Neander dabei an das würdevolle Einherschreiten eines Königs. Der schwungvolle Alla breve-Takt sorgt jedoch dafür, dass die Melodie nie langweilig wirkt und dass auch der fröhliche Lobpreis, der das Lied durchzieht, zum Ausdruck kommt.
Autor und Komponist des Schöpfungsliedes Himmels Au, licht und blau sind unbekannt. Das EG gibt lediglich Ort und Jahr an: Demnach wurde der Text 1767 in Dresden verfasst, die Melodie erst 1847, also 80 Jahre später in Luxemburg. Das Lied steht also epochal gesehen zwischen Aufklärung und Romantik, und tatsächlich zeigt es Charakteristika der Kirchenlieder aus jener Zeit.
Im späteren 18. Jahrhundert führten Aufklärung und Rationalismus zu einer Distanzierung von der Kirche mit ihren verstandesmäßig nicht nachvollziehbaren Dogmen und dem prinzipiell negativen Menschenbild des Sünders. Der moralische und erzieherische Aspekt rückte nun in den Vordergrund und brachte neue Themen hervor wie die Bewahrung der Schöpfung. So entstanden zahlreiche Kirchenlieder, die die Natur bzw. Gott in der Natur besingen. In Gesangbüchern aus jener Zeit finden sich Rubriken wie Von den Pflichten in Absicht auf die Tiere und Pflanzen, die ein frühes Umweltbewusstsein mit dem moralischen Aspekt verbinden.
Text und Melodie von Himmels Au sind so schlicht gehalten, dass man es als Kinder- oder Volkslied bezeichnen kann. Und tatsächlich gehörte zu Aufklärung und Romantik ja auch eine neue Sicht auf das Kind und seine Bedürfnisse genauso wie ein neu erwachtes Interesse am Volkslied. Und so fanden nicht wenige Kinder- und Volkslieder Eingang in das EG.
In Himmels Au wird die unfassbare Größe und Vielfalt der Schöpfung durch die Worte "zählen" und "Zahl" mit dem Lob des Schöpfers verknüpft: "...wieviel zählst du Sternlein / Stäublein / Gräslein...? Ohne Zahl, sovielmal soll mein Gott gelobet sein." Die Ähnlichkeit mit Weißt du, wieviel Sternlein von Wilhelm Hey aus dem Jahr 1837 ist unübersehbar. Auch hier wird die rhetorische Frage nach der Zählbarkeit der Sterne, Wolken, Mücklein und Fischlein mit dem Verweis auf den allmächtigen Schöpfer beantwortet. Dass der große und gütige Gott zählen kann, was wir Menschen niemals zählen können, lässt uns getrost und geborgen sein.
Möglich, dass Hey das ältere Himmels Au kannte und als Vorlage verwendete. Auch die Melodie ist ähnlich: ein schlichtes Wiegenlied von sehr geringem Tonumfang. Allerdings war es hier möglicherweise umgekehrt: Die Volksliedmelodie um 1818, auf die Weißt du, wieviel Sternlein gesungen wird, könnte als Vorlage für Himmels Au gedient haben.
Mit dem Lied, das ich für den Monat September ausgewählt habe, verlassen wir ausnahmsweise den historischen Pfad und begeben uns in den Bereich des sogenannten Neuen Geistlichen Liedes. Im 2012 herausgegebenen Beiheft zum EG Singt Jubilate befindet sich das Segenslied Herr, wir bitten: Komm und segne uns von Peter Strauch (*1943). Strauch ist Theologe des Bundes Freier Evangelischer Gemeinden und war 20 Jahre lang im Hauptvorstand der Deutschen Evangelischen Allianz. Obwohl er auch als Buchautor erfolgreich ist, sind es vor allem seine über 150 Lieder, durch die er über konfessionelle Grenzen hinweg bekannt wurde. Sie gelten als wegweisend für die Entwicklung des Neuen Geistlichen Liedes in den 1970er und 1980er Jahren. Zu Strauchs bekanntesten Liedern gehören Titel wie Die Gott lieben, werden sein wie die Sonne, Meine Zeit steht in deinen Händen oder Gott wurde arm für uns. Die allermeisten Lieder hat er in Personalunion als Dichter und Komponist verfasst, so auch Herr, wir bitten: Komm und segne uns.
Das 1979 entstandene Segenslied besteht aus einem Kehrvers und einem Strophenteil. Der Kehrvers enthält die Bitte um Gottes Segen, Frieden und Kraft. In den Strophen wird deutlich, dass es bei dieser Bitte nicht allein um uns selbst geht, sondern auch darum, mit dem Geschenk des Segens, des Friedens und der Kraft in die bedürftige Welt hineinzuwirken. Der Zustand der Welt wird jeweils dem Auftrag der Christen und dem Guten, das daraus entstehen kann, gegenübergestellt: In der Nacht der Welt sollen wir Freude ausbreiten, in der Traurigkeit Gottes Boten sein; im Streit der Welt sollen wir Frieden verkünden, im Leid der Welt Gottes Liebe bezeugen. Im Original gibt es noch eine vierte Strophe, die uns dazu ermutigt, in die Schuld der Welt Vergebung zu tragen.
Die kontrastreichen Bilder, die am Beginn jeder Strophe durch die Worte "In die...Welt hast du uns gestellt" miteinander verknüpft werden, machen die Texte sehr einprägsam. Die Melodie ist erzählend, fast litaneiartig – ganz anders als im Kehrvers, der durch die punktierten halben Noten am Beginn fast jeden Taktes und die aufsteigende Dreiklangsbrechung beschwingt wirkt.
Peter Strauchs Segenslied ist eine echte Bereicherung unter den Segens- und Sendungsliedern.
Im Reformationsmonat Oktober kehren wir noch einmal an die Anfänge des evangelischen Gesangbuchs zurück – weniger unter inhaltlichem als unter sozialgeschichtlichem Gesichtspunkt. Denn die Reformation war ja nicht nur eine theologische, sondern auch eine sozialgesellschaftliche Erneuerungsbewegung. So setzten sich Luther und seine Mitstreiter für eine Reform des Bildungswesens ein und gründeten Schulen, darunter 1529 in Grimma die erste Mädchenschule unter der Leitung von Magdalena von Staupitz. Sie war neben Katharina von Bora eine der neun Nonnen, die 1523 aus dem Kloster Nimbschen geflohen waren. Bildung und Herkunft der ehemaligen Nonnen ermöglichten ihnen die aktive Teilhabe an der Ausbreitung und Konsolidierung der Reformation.
Das gilt auch für Elisabeth Cruciger geb. von Meseritz, aus deren Feder das Monatslied für den Oktober stammt. Sie wurde um 1500 in Hinterpommern in ein polnisches Adelsgeschlecht geboren. Wie viele andere Mädchen aus verarmten Adelsfamilien wurde sie bereits als Kind in ein Kloster gebracht. Sie erhielt dort Unterricht im Lesen und Schreiben, lernte Latein und befasste sich mit Bibelstudien. Durch Johannes Bugenhagen, einen Weggefährten Luthers, wurde die junge Nonne mit dem reformatorischen Gedankengut bekannt gemacht, verließ 1522 das Kloster und ging nach Wittenberg, wo sie zwei Jahre später den Theologen und Mitarbeiter Luthers Caspar Cruciger heiratete. Damit gehörte sie zum engsten Kreis um den Reformator.
Als einzige Frau unter den Mitstreitern der ersten Stunde leistete Elisabeth Cruciger mit ihrem Lied Herr Christ, der einig Gotts Sohn auch einen Beitrag zu den ersten deutschsprachigen Gemeindeliedern und gilt damit zugleich als erste Kirchenlieddichterin. Das Lied wurde 1524 im zweitältesten evangelischen Gesangbuch Ein Enchiridion oder Handbüchlein in Erfurt veröffentlicht und ist bis heute im Stammteil des EG enthalten. Wegen der Metapher vom Morgenstern in der ersten Strophe ist es Epiphanias zugeordnet, könnte mit seiner theologischen Dichte aber auch als Reformationslied bezeichnet werden. Allerdings fehlt ihm der kämpferische Charakter vieler Reformationslieder. Stattdessen wirkt es wie ein sehr persönliches Glaubensbekenntnis, das mit seiner innigen Jesusliebe auf die pietistischen Lieder der Barockzeit vorausweist.
Beide im EG enthaltene Choräle von Philipp Nicolai (1556-1608) gehören zu den schönsten und berühmtesten Kirchenliedern: Wie schön leuchtet der Morgenstern (EG 70) zu Epiphanias und Wachet auf, ruft uns die Stimme zum Ende des Kirchenjahres. Obwohl unterschiedlichen Zeiten des Kirchenjahres zugeordnet, haben sie vieles gemeinsam: Nicolai, damals Pfarrer im westfälischen Unna, schrieb beide Choräle unter dem Eindruck der Pest im Jahr 1597 und veröffentlichte sie zwei Jahre später im Anhang seines Trostbuches Freudenspiegel des ewigen Lebens. Inhaltlich greifen beide das mystische Bild von Christus als dem Bräutigam und der Gemeinde als Braut auf, die sich nach seiner Wiederkunft und nach der Vereinigung mit ihm in der Ewigkeit sehnt. So bezeichnet Nicolai seine Lieder im Freudenspiegel denn auch als Ein geistlich Brautlied (EG 70) und Ein anders [Brautlied] von der Stimm zu Mitternacht und von den klugen Jungfrauen, die ihrem himmlischen Bräutigam begegnen. Matth. 25 (EG 147).
Die Schönheit dieser beiden Kirchenlieder rührt einerseits aus der von Nicolai selbst komponierten kraft- und schwungvollen Melodie, die sich gut singen und musikalisch verarbeiten lässt. Viele Komponisten haben auf ihrer Grundlage kirchenmusikalische Werke geschaffen. Zu nennen ist vor allem Bachs Kantate Wachet auf, ruft uns die Stimme, aber auch Händel, der in seinem berühmten Halleluja-Chor aus dem Messiah die dritte bzw. letzte Melodiezeile dieses Chorals zu den Worten "And He shall reign forever and ever" zitiert.
Genauso bedeutsam für die hohe Qualität der beiden Nicolai-Lieder ist der poetische Reichtum und die geistliche Tiefe des Textes. Aus jeder Verszeile spricht himmlische Hoffnung, die inmitten der Erfahrung größten Leides sehr authentisch wirkt. Obwohl Nicolai selbst von der Pest verschont blieb, erschütterte ihn das Sterben um ihn herum zutiefst. In der Vorrede seines Freudenspiegels schreibt er, dass auf dem Höhepunkt der Seuche allein in Unna täglich bis zu 30 Menschen starben; insgesamt gab es dort etwa 1.400 Opfer.
Und so verband Nicolai mit seinem Buch und den Liedern die Hoffnung, "anderen notleidenden Christen (welchen er [Gott] die Pest auch zu Haus senden würde) aus christlicher schuldiger Liebe zu dienen und gleich als mit gegenwärtigem Trost beizuwohnen."
Wenn Tochter Zion in unseren Gottesdiensten erklingt, dann weiß man, dass der Advent wieder da ist. Jedes Jahr freuen wir uns neu an den festlichen Klängen dieses Liedes mit seinen beschwingten Achtelketten auf Worte wie „freue“ und „jauchze“. Dass die Melodie dieses Liedes – ebenso wie der dazu gehörige Chorsatz mit seiner klaren akkordischen Struktur – so besonders schön ist, verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass sie von keinem Geringeren als Georg Friedrich Händel stammt.
Allerdings hat Händel diese Musik 1747 nicht auf ein Adventslied komponiert, sondern für den 3. Akt seines biblischen Oratoriums Joshua. Im Rahmen der Einnahme des verheißenen Landes Kanaan durch Josua erobert Otniël die Stadt Kirjat-Sefer. Bei seiner Rückkehr wird er von einem Jubelchor empfangen, der in der ersten Strophe singt: „See, the conqu'ring hero comes! Sound the trumpets, beat the drums.“ Später fügte Händel den Chor auch in sein Oratorium Judas Maccabäus ein, ein Auftragswerk, das den endgültigen Sieg Britanniens über die Stuarts und ihren Thronanspruch feiern sollte. Seither gehört die Melodie dieses Siegeschores zum festen Repertoire englischer patriotischer Gesänge und wird beispielweise immer noch jährlich in der Last Night of the Proms aufgeführt.
Um 1820 dichtete der evangelische Theologe Friedrich Heinrich Ranke auf Händels Chorsatz einen Text nach Sacharja 9,9, einer Prophezeiung über den Einzug des zukünftigen Friedenskönigs auf einem Esel, die sich hunderte Jahre später gemäß Matthäus 21,4-5 im Einzug Jesu in Jerusalem am Sonntag vor seiner Kreuzigung erfüllte. Nachdem das Lied zunächst als Palmsonntagslied populär wurde, verschob sich sein Platz im Kirchenjahreszyklus im Lauf der Zeit in den Advent. Folgerichtig entfiel nach und nach in den meisten Gesangbüchern die dritte Strophe, in der der Einzug Jesu in Jerusalem thematisiert wird. Geblieben sind die drei bekannten Strophen, die das ewige Friedensreich Jesu Christi besingen und in denen auch auf das Kind Jesus verwiesen wird: „Du, des ew'gen Vaters Kind.“
Interessanterweise wird Händels Melodie in vielen Ländern auf die Übersetzung eines französischen Textes als Osterlied gesungen. Ihre so unterschiedliche Verwendung zeugt von ihrer Universalität.